Erstellt von Ulla Arens

Wie die Steyler behinderten Menschen in Argentinien helfen

Der Achtjährige Armando mit drei seiner Freunde
Armando fühlt sich wohl in seiner Heimat, hier wird gelacht, gespielt, gelernt

Im Steyler Heim Santa Teresa hat Armando (2. v. r.) ein neues Zuhause und neue Freunde gefunden. Der Achtjährige leidet an einer schweren Erbkrankheit | Foto: Armando Vega

Aus finanzieller Not können sich viele Familien in Misiones, im Norden Argentiniens, nicht um Angehörige mit Behinderungen kümmern. Oder sie wollen es nicht. In den Heimen der Steyler Stiftung finden sie ein neues Zuhause. Hier lebt auch Armando

Armando ist acht Jahre alt, voller Energie – und voller Neugier. Kaum sind wir in der Steyler Einrichtung in Oberá angekommen, sprudeln die Fragen aus ihm heraus: „Was schreibst du da? Wo kommst du her? Kann ich mal die Kamera halten?“ Erst nachdem wir uns vorstellen und erklären, dass wir über das Heim berichten wollen, in dem er mit seinen drei schwerbehinderten Brüdern lebt, gibt er sich zufrieden – vorerst.

In den kommenden zwei Tagen wird Armando unser ständiger Begleiter sein. Immer wieder stellt er Fragen, hilft, lacht, spielt. Ein Junge, der das Herz berührt. Und ein Junge mit einer schweren genetischen Muskelerkrankung, die seine Zukunft prägen wird. Schon jetzt ist klar: Auch Armando wird wie seine Brüder nach und nach seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten verlieren – bis er wie seine Brüder auf einen Rollstuhl angewiesen sein wird. Die Geschwister leiden alle an einer besonders schweren und genetisch bedingten Form von Muskelschwund, die im Kindesalter beginnt. Die Erkrankung greift schließlich auch auf die Atem- und Herzmuskulatur über. Dass er das Erwachsenenalter erreicht, gilt als unwahrscheinlich.

Erst seit einigen Monaten wohnen Armando und seine Brüder im Haus „Santa Teresa“ für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen. Wegen der unzumutbaren Zustände zu Hause – im Slum, ohne medizinische Betreuung und angemessene Pflege – haben die Behörden die Kinder hier untergebracht. Armando scheint sich gut eingelebt zu haben. „Ich will in Santa Teresa bleiben“, sagt er.

Von der Familie ausgesetzt und dem Schicksal überlassen

1987 kam Pater Guillermo Hayes SVD (1950–2014) als Kaplan in das Krankenhaus von Oberá, Argentinien. Vor dem Gebäude erlebte der gebürtige Ire aus der Nähe von Limerick viele obdachlose Menschen – junge und alte mit Behinderungen, die sich Hilfe erhofften. Sie bettelten, waren unterernährt, manche dem Tode nah. Angehörige hatten sie ins Krankenhaus gebracht und dann dort zurückgelassen. Aus Desinteresse, weil sie sich für sie schämten, sie als eine Strafe Gottes betrachteten oder nicht in der Lage waren, für sie zu sorgen, etwa aus finanziellen Gründen.

Pater Hayes konnte das nicht hinnehmen. Um diesen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, gründete er eine Stiftung und baute 1993 mit Spenden aus Irland und England ein Heim. Von manchen der ersten Bewohner, die schließlich in „Santa Teresa“ einzogen, konnte er weder Namen noch Herkunft in Erfahrung bringen. Auf ihren Gräbern steht N. N., Name unbekannt. Der Backsteinbau wurde 1998 um das Heim „Virgen de Luján“ erweitert. Hier leben alte Menschen mit Behinderungen, auch Demenzpatienten sind dort untergebracht. Einen kurzen Fußmarsch entfernt liegt „Espíritu Santo“ – ein Haus für Kinder, Männer und Frauen mit besonders schweren geistigen Behinderungen, gebaut 2011.

Insgesamt 59 Menschen wohnen zurzeit in den drei Häusern der Stiftung „Hogares Guillermo Hayes“. Es gibt eine Warteliste, sagt mir Heimleiter Joel Ate Ariola. Bei meinem Rundgang durch die Zwei- oder Dreibettzimmer, natürlich mit Armando an meiner Seite, lerne ich noch weitere Bewohner kennen. Zum Beispiel Oscar. Er ist schizophren, aber medikamentös gut eingestellt. Der jetzt 25-Jährige wurde zu Hause misshandelt, fing Schlägereien an, nur um ins Gefängnis zu kommen, bloß weg von seiner Familie. Hier hat er eine neue gefunden. Maria Ines, 48, ist eine der ersten Bewohnerinnen des Heims. Pater Hayes erteilte ihr die Aufgabe, das Rosenkranzgebet zu leiten. Das macht sie immer noch jeden Morgen pünktlich um 10 Uhr. Clorinda, 85, lebt im Altenheim. Sie wurde im Wald ausgesetzt, ist blind, stumm und gelähmt. Kenny ist ein junger Mann mit Down-Syndrom. Als Kind fand man ihn eingesperrt im Keller eines verlassenen Hauses – kaum bekleidet, verkrümmt und fast verhungert. Er musste essen und gehen lernen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner werden hier gepflegt, bekocht, gewaschen und bei den alltäglichen Aufgaben unterstützen. Aber auch in den Arm genommen und mit Geborgenheit beschenkt. Sie werden auch therapeutisch betreut. Ein Arzt kümmert sich um die medizinische Behandlung, eine Physiotherapeutin macht mit ihnen Bewegungsübungen. Im Garten werden Bastel- und Gärtnerkurse angeboten, die nicht nur Spaß machen sollen, sondern auch ganz nebenbei die Feinmotorik verbessern. Wer gesundheitlich dazu in der Lage ist, besucht tagsüber eine Förderschule oder ein sozialpädagogisches Zentrum.

Pflege, therapeutische Maßnahmen und Freizeitangebote strukturieren den Tag

Die Zahl der Menschen mit Behinderungen sei hoch in dieser Gegend von Argentinien, berichtet mir Heimleiter Joel Ate Ariola später, als wir uns im Büro zu einem Gespräch zusammensetzen. Es werde vermutet, dass der hohe Gebrauch von Chemikalien in der Landwirtschaft schuld daran sein könnte. Umso wichtiger ist ein Heim wie dieses. „Es ist das einzige in Argentinien, das Menschen jeden Alters und mit allen Formen von Behinderungen aufnimmt“, sagt Ariola stolz.

Aber er sorgt sich, dass die Qualität nicht aufrecht erhalten werden kann. Seit dem Tod des Gründers sind Spendenquellen versiegt, aber durch die Inflation die Unterhaltskosten gestiegen. Die staatliche Unterstützung reicht nicht, um das Personal zu bezahlen. Einige Mitarbeiter mussten bereits entlassen und mehrere therapeutische Behandlungen daher eingestellt werden. Weitere Personalkürzungen werden wohl folgen, befürchtet der Heimleiter.

Armando wartet schon auf mich, als ich wieder hinaus in den Garten gehe. Er spielt mit mir Nachlaufen, bis wir an den Gemüsebeeten ankommen. Dort ist gerade die Gärtnergruppe beschäftigt. Einer der Teilnehmenden ist Marco, 26. Er füllt mit einer kleinen Schaufel langsam und bedächtig Erde in Plastiktöpfe, steckt Setzlinge hinein und wässert dann die Pflanzen, die an Besucher verkauft werden. An einer anderen Stelle des Gartens findet der Kunst- und Bastelkurs statt. Kleine Zweige sollen zugeschnitten und auf einer Vorlage zu einem Kranz zusammengeklebt werden. Armando setzt sich dazu und macht mit. Aber lange hält es ihn nicht auf der Bank. Als er Marco und Oscar sieht, springt er auf, um mit ihnen eine Runde zu kicken.

So werde ich ihn in Erinnerung behalten. Fröhlich spielend inmitten des wunderschönen großen Gartens, zusammen mit seinen Freunden. 

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