Erstellt von Andrea Dee

Unsere neue Kolumne: Von Tieren lernen

Unsere neue Kolumne: Von Tieren lernen. Diesmal geht's um die Schnecke.
Unsere neue Kolumne: Von Tieren lernen. Diesmal geht's um die Schnecke.

Nachtaktiv und gefräßig: die Achatschnecke. | Illustrationen: Lisa Schweizer

Und nirgends wird Welt sein als innen, erkannte Rainer Maria Rilke. Vielleicht hat ihn eine Schnecke inspiriert, denkt sich unsere Kolumnistin Andrea Dee.

Der stillen Schönheit eines Schneckenhauses kann sich kaum einer entziehen – harmonisch und dynamisch zugleich windet sich seine Spirale nach oben. Oder dreht sich im Kreis auf einer Ebene, etwa bei den „Steinpickern“, jenen Populationen der bei uns allgegenwärtigen Schnirkelschnecke, die in sehr wasserarmen Lebensräumen daheim ist. Da hat die Natur vorgesorgt, mit flachem, linsenförmigem Haus können sie sich auch noch in die kleinsten Spalten zwängen, um der Austrocknung zu entgehen.

Jede Gehäuseschnecke kommt mit Haus zur Welt – der Embryo bildet es bereits im Schneckenei. Und gibt es nicht mehr her: Mit zwei Muskeln hält die Schnecke ihr Haus fest. Und auch sonst weiß sie, sich zu helfen: Kleinere Verletzungen ihres Gehäuses kann sie durch Kalkabscheidungen selbst reparieren. Und wenn sie sich darin für den Winter zurückzieht, mauert sie sich einen Deckel und macht so die Türe zu.

Eigentlich schade, dass so viele von uns zwar die Häuser mögen, aber die Schnecken nicht. Denn Schnecken haben Potenzial. Zum Beispiel die afrikanischen Achatschnecken, mit bis zu 20 Zentimeter Gehäuselänge die größten an Land lebenden Schnecken. Ein lieber, leider verstorbener Freund hat eine Monografie über sie verfasst und sie als Haustiere für Tierhaar-Allergiker empfohlen.

Denn: Kommunikation ist möglich mit den Weichtieren. Ihre Augen sitzen auf ein- und ausfahrbaren Stilen, und damit schauen sie einen unverkennbar an, wenn man ihren Blick sucht.

Welches Bild der Welt ihnen ihre Teleskop-Augen vermitteln, können wir nur erahnen. Denn die Verarbeitung der Sinneseindrücke erfolgt bei ihnen nicht wie bei uns über ein zentrales Gehirn, sondern über Nervenknoten. Fünf dieser Hirne besitzt der Schneck – und tritt uns doch als einer entgegen.

Und das auf einer Schleimspur, die er selbst erzeugt. So haben wir den Tigerschnegel, den wir als Haustier hielten, denn auch wiedergefunden, als er aus dem Terrarium ausgebüxt war. Die Schnegel bilden keine Gehäuse – einen Kalkrest tragen sie unsichtbar im Mantel mit sich: Nirgends wird Haus sein als innen, das gilt für sie. Und das fehlende Haus erlaubte ihm auch, das Terrarium durch einen winzigen Spalt zu verlassen ...

Schnecken sind archaische Wesen, seit mehr als 500 Millionen Jahren gibt es sie. Und so alt wie die Menschheit scheint die Faszination, die ihre Behausungen ausüben. Über 70.000 Jahre alt sind die in südafrikanischen Höhlen gefundenen, für Schmuck durchlöcherten Schneckenhäuser, konzentrische Kreise und Spiralen finden sich unter den ältesten Felsbildern.

Offensichtlich haben unsere Vorfahren in den Schneckenhäusern auch das Unendliche gesehen.

Wie wir, wenn wir jetzt im Winter ein Schneckenhaus finden – eine Spirale, die ein Kreis ist und sich doch nicht schließt, sondern über sich hinausweist. Oder ins Innere hinein, wo vielleicht ein uraltes und geheimnisvolles Weichtier dem Frühling entgegenschläft.

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Unsere neue Kolumne: Von Tieren lernen von Andrea Dee
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Von Tieren lernen - Wenn uns das jemand beibringen kann, dann Andrea Dee aus Niederösterreich. | Illustrationen: Lisa Schweizer, Foto: Nele Martensen

Von Tieren lernen

Wenn uns das jemand beibringen kann, dann Andrea Dee, 64, aus Niederösterreich. Die Autorin lebt mit derzeit fünf Katzen, 30 Tauben, sieben Schildkröten, zwei Pferden (und Kleintieren wie seltenen Schnecken) auf einem Hof in Österreich, wo sie auch ein kleines Museum zum Thema Tier betreibt. Dazu kommen Pfleglinge wie Feuersalamander oder Igel, je nach Jahreszeit. Ab diesem Monat teilt sie ihre Erkenntnisse in ihrer philosophisch-praktische Kolumne mit uns.

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