Erstellt von Ulla Arens

Der Kindergarten der Steyler Schwestern im Gefängnis in Bolivien

Menschen warten vor dem Eingang zum Gefängnis
Hinter diesen hohen Mauern leben Kinder mit ihren Müttern – als wären sie selbst Gefangene

Vor dem völlig überbelegten Gefängnis warten Männer und Frauen darauf, ihre Verwandten besuchen zu können. | Foto: Getty Images Editorial

Das größte Gefängnis Boliviens heißt Palmasola. Etwa 8000 Menschen sind dort inhaftiert – darunter auch Mütter mit kleinen Kindern. Ein Leben inmitten von Gewalt und Drogen. Eine Steyler Schwester versucht, den Jungen und Mädchen ein Stück normale Kindheit zu schenken

Das Gefängnis

Hinter Stacheldraht und zwei hohen Mauern leben 8.000 Gefangene in Palmasola, dem größten und berüchtigtsten Gefängnis Boliviens. Die allermeisten davon Männer. Die Autorität der Wächter ist begrenzt. In einem großen Block des Gefängnisses können sich die Häftlinge frei bewegen, verwalten sich selbst, besitzen Geld. Um hier zu überleben und Geld zu verdienen haben sie sich eine Parallelwelt aufgebaut: eine eigene Stadt mit Restaurants, Werkstätten, Geschäften. Drogen sind weit verbreitet. 2013 gelangte Palmasola zu trauriger Berühmtheit, als bei Bandenkämpfen 32 Menschen ums Leben kamen. Darunter ein Kind. Damals war den Gefangenen noch erlaubt, dass die Familie bei ihnen lebte. Das ist nicht mehr so.

Anders im viel kleineren, aber ähnlich strukturierten Frauen-Block, wo etwa 600 Inhaftierte untergebracht sind – und zurzeit 54 Kinder. Sie leben mit ihren Müttern in einem Umfeld, das von seelischer und körperlicher Gewalt geprägt ist. Ein Lichtblick: Ab dem ersten Geburtstag können die Kinder den Kindergarten besuchen, der von einer Steyler Schwester geleitet wird. Mit vier folgt die Vorschule, die in demselben Gebäude untergebracht ist. Mit sechs endet das Leben im Gefängnis: Die Mädchen und Jungen kommen zu Familienangehörigen oder ins Heim.

Mit Geld kann man sich dort alles kaufen

Wie bei den Männern existiert ein Zweiklassensystem: Da sind die besser Gestellten, die finanziell von Angehörigen unterstützt werden und über Apps Geld erhalten. Und die Armen, die sich etwas verdienen müssen: indem sie einen Imbiss betreiben, ­kochen, die Kleidung anderer Frauen waschen, Kokablätter zum Kauen zerkleinern, Brot und Kuchen backen, frisieren und schminken. Oder sich heimlich prostituieren – es ­kommen täglich viele Besucher ins Gefängnis.

Die Frauen benötigen das Geld für Windeln, Brei, Kinderkleidung und vor allem für Essen. Das, was im Gefängnis verteilt wird, ist für Kinder nicht geeignet. Aber viele kaufen davon auch Drogen, die eingeschmuggelt oder vor Ort hergestellt werden.

Der Kindergarten

Im Kindergarten „Neuer Morgen“ erinnert nichts an ein Gefängnis. Das ist Schwester Joanna Cwikowska SSpS ganz wichtig. „Die Kinder sollen sich nicht als Häftlinge fühlen, sondern ein würdiges Leben und all die Möglichkeiten haben wie die Gleichaltrigen ,draußen‘ auch.“

Seit März vergangenen Jahres leitet die gebürtige Polin den Kindergarten. Eine Aufgabe, vor der sie erst ein wenig erschrak. „Ich wusste nicht, was mich im Gefängnis erwartet, und hatte großen Respekt vor der Verantwortung den Kindern gegenüber.“ Inzwischen ist der tägliche Besuch im Gefängnis Alltag geworden. Jeden Morgen zeigt sie am Eingang ihren Sonderausweis. Nachdem Auto und Rucksack untersucht wurden, darf sie auf das Gelände fahren und auspacken, was sie mitgebracht hat: Lebensmittel, Windeln, Medikamente und alles, was sonst täglich benötigt wird.

Die Kinder freuen sich auf sie. Schon von Weitem rennen sie auf sie zu, klammern sich an ihren Beinen fest. „Meine Hosen sind immer schmutzig“, sagt Schwester Joanna und lacht. „Die Fröhlichkeit und Spontanität der Kinder sind ansteckend, das macht mir die Arbeit leicht.“

Doch viele ihrer Schützlinge, zurzeit sind es 29, sind verhaltens­auffällig – nicht überraschend in diesem Umfeld. Denn sobald sie gegen 14 Uhr den Kindergarten verlassen, müssen sie Dinge hören und sehen, die nicht für Kinderohren und -augen geeignet sind. Und sie spüren die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit ihrer Mütter. Was ihnen aber vor allem fehlt, ist die Familie. Das sagen die Jungen und Mädchen Schwester Joanna immer wieder. Der fünfjährige Hugo zum Beispiel: „Ich vermisse es so, mit meinem Bruder und meinen Cousinen zu spielen.“ Oder Lucia, 5: „Ich will wieder mit meinen drei Brüdern leben.“

Das Miteinander muss erst gelernt werden

Routinen fördern soziale Kompetenzen: Dazu gehören ein geregelter Ablauf, Danke und Bitte sagen, Singen, Zähneputzen, Händewaschen, das gemeinsame Gebet vor dem Essen. Vier nahrhafte Mahlzeiten bekommen die Kinder. Sie werden in der Küche des Kindergartens zubereitet.

Der Steyler Schwester, die Sozialarbeit studiert hat, steht eine vom Staat angestellte Lehrerin für die Vorschule zur Seite. Und fünf Helferinnen – alles Gefangene. Große Angst haben die Mütter vor dem Moment, wenn ihr Kind sechs Jahre alt wird und sie sich von ihm verabschieden müssen. „Das ist für beide schrecklich. Wir versuchen uns mit den Heimen abzustimmen und die Mütter und Kinder darauf vorzubereiten.“

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Bolivien

Land der kulturellen Vielfalt

Der südamerikanische Binnenstaat hat etwa 12 Millionen Einwohner, die mehrheitlich katholisch sind.

Die größte Stadt ist Santa Cruz de la Sierra mit knapp zwei Millionen Einwohnern. Ganz in der Nähe liegt Palmasola.

Offiziell leben 36 Ethnien in Bolivien, die jeweils eine eigene Sprache sprechen.

Das Land gilt als eines der ärmsten in Südamerika.

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