Wie die Steyler Missionare Familien am Himalaja aus der Leibeigenschaft führen
Beschreibung
In einem abgelegenen Gebiet Indiens, am Fuße des Himalaja, lebt der Stamm der Puroik seit Jahrhunderten in Leibeigenschaft. Mit Bildung versuchen die Steyler Missionare, dieser Unterdrückung ein Ende zu setzen
Arunachal Pradesh, der äußerste Nordosten Indiens, ist ein weitläufiges, grün schimmerndes Land zwischen den mächtigen Ausläufern des Himalaja und den nebelverhangenen Ebenen des Brahmaputra-Tals. Dichte Regenwälder, steile Täler und reißende Flüsse prägen die Landschaft. Abseits der Zivilisation lebt dort der Stamm der Puroik. Sie sind schwer zu erreichen – die wenigen Straßen, die es gibt, werden durch Erdrutsche oft unpassierbar.
Der Alltag der Puroik in dieser Bergregion ist hart. Die Familien wohnen in einfachen Bambushütten, leben vom Fischen, Jagen und vom Mehl der Sagopalme, das sie in mühevoller Arbeit aus deren Mark gewinnen. Eigentum besitzen sie kaum und nur wenig Land. Selbst die Freiheit ist ihnen verwehrt. Denn sie sind von Geburt an Leibeigene eines anderen Stammes – der Nyishis. „Sulung“ nannte man die Puroik früher abfällig, was so viel bedeutet wie „Sklave“. Seit Jahrhunderten leben sie in dieser Abhängigkeit. „Weil die Götter es so bestimmt haben“, lautet eine Erklärung. Eine andere besagt, die Urahnen der Puroik hätten sich einst bei den Nyishis verschuldet.
Puroik-Kinder verlassen schon mit fünf oder sechs Jahren ihr Elternhaus, um bei einer Nyishi-Familie zu arbeiten
Sobald die „Herren“, die in weiter entfernten Siedlungen leben, die Puroik für Feldarbeit oder andere Tätigkeiten benötigen, verlassen diese ihr Dorf, um ihrer Pflicht nachzukommen. Lohn bekommen sie für ihre Arbeit keinen. Kinder müssen schon mit fünf oder sechs Jahren das Elternhaus verlassen und bei einer Nyishi-Familie leben, für die sie Hausarbeiten verrichten. Machen sie dabei Fehler, sind körperliche Strafen keine Seltenheit.
Dichte Regenwälder, steile Täler und reißende Flüsse prägen die Landschaft im Nordosten Indiens, wo der Puroik-Stamm lebt
Im Nordosten Indiens liegt das Tal des Puroik-Stammes – ein Gebiet aus Regenwald, tiefen Schluchten und wilden Flüssen, das oft nur über schmale Hängebrücken zu erreichen ist | Foto: SVDMachen sie dabei Fehler, sind körperliche Strafen keine Seltenheit. Früher schreckten die Nyishis nicht einmal vor Mord an ihren Leibeigenen zurück. Noch heute bestimmen manche, wen ein Puroik heiratet – und das Brautgeld, das bezahlt werden muss, verlangen sie ebenfalls. An dieser Machtstruktur hat sich kaum etwas geändert, als die Moderne Einzug hielt – mit Elektrizität, später auch mit Wlan. Und sie blieb unverändert, als Missionare in das Gebiet kamen – erst die Steyler, dann evangelikale Gruppen –, als die Nyishis Schulen besuchten, öffentliche Ämter übernahmen, Handys und Autos besaßen – und längst wussten, dass Sklaverei in Indien wie fast überall auf der Welt verboten ist.
In der Steyler Schule werden Kinder der Nyishis und der Puroik gemeinsam unterrichtet
„Puroiks sind für sie einfach billige Arbeitskräfte“, sagt Pater Clement Miranda SVD. Er leitet die Divine-Word-Schule („Schule des göttlichen Wortes“) in Chayang Tajo. Gegründet wurde sie 2017, untergebracht zunächst in einem alten Gebäude, inzwischen in einem Neubau. Das Besondere an der Schule: Kinder der Nyishis und der Puroik werden gemeinsam unterrichtet. Mit Bildung versuchen die Steyler, der Unterdrückung ein Ende zu setzen, Brücken zwischen den Stämmen zu bauen – Brüderlichkeit und Gleichheit zu fördern. Ganz bewusst haben sie, anders als in staatlichen Schulen, keine Lehrer aus dem Stamm der Nyishis eingestellt, um sicherzugehen, dass die Puroik-Kinder nicht benachteiligt werden.
Zurzeit besuchen rund 200 Kinder ab dem Kindergartenalter die Schule. Wer weit entfernt wohnt, schläft auch dort – etwa 40 Puroik- und über 80 Nyishi-Kinder. Der Platz ist knapp, manche müssen in den Klassenräumen übernachten. Ein neues Gebäude für den Kindergarten ist dringend nötig. Wie nicht anders zu erwarten war, gab es anfangs Probleme, erzählt Pater Clement. Es war für die Nyishi-Eltern schwer zu akzeptieren, dass ihre Kinder mit Puroik-Kindern gemeinsam lernen, leben und spielen. „Sobald es eine Infektionswelle gab, beschuldigten sie die Puroik-Kinder, ihre Kinder krank gemacht zu haben.“ Einige nahmen ihre Kinder wieder von der Schule. Puroik-Kinder gingen, weil sie von Nyishi-Mitschülern geschlagen wurden.
Es braucht Zeit und Beharrlichkeit, um die jahrhundertelangen Abhängigkeiten wirklich zu durchbrechen.
Auch Mobbing war an der Tagesordnung – schließlich hatten die Nyishi-Kinder von klein auf gelernt, dass die Puroik ihre Diener sind und keine Rechte haben. „Sie zwangen sie heimlich, ihre Wäsche zu waschen, ihr Geschirr zu reinigen, ihre Schuhe zu putzen. Oder sie weigerten sich, mit ihnen Essen und Trinken zu teilen“, erzählt der Pater. Von Tätlichkeiten ganz zu schweigen. Solches Verhalten lässt Pater Clement, selbst ausgebildeter Lehrer, nicht durchgehen. „Sobald es Zwischenfälle gibt, rede ich mit den Betroffenen. Auch beim gemeinsamen Morgengebet bespreche ich die Konflikte mit den Kindern.“ Immer wieder betont er, dass alle Menschen gleich und gleichberechtigt sind.
Die Steyler Schule öffnet den Kindern des Puroik-Stammes einen Weg aus der Abhängigkeit
Zwei von etwa 200 Kindern, die derzeit die Steyler Schule besuchen | Foto: SVDRegelmäßig besuchen die Missionare die Dörfer, um mit den Puroik über Menschenrechte zu sprechen und sie darin zu bestärken, für ihre Rechte einzutreten. Ebenso sprechen sie mit den Nyishi-Familien, um ihnen die Unterdrückung, die sie ausüben, bewusst zu machen – und sie zum Umdenken zu bewegen. Allein können sich die Puroik kaum wehren. Zu lange leben sie schon in Unfreiheit; sie ist Teil ihrer Identität geworden. Selbst wenn sie in der Stadt Arbeit finden, gehorchen sie ihrem „Herrn“, sobald dieser sie ruft. Doch es gibt Ausnahmen, die Hoffnung machen. Wie im Fall von Lakap Birap. „Dessen Tochter lebt als Leibeigene bei einer Nyishi-Familie, wo sie seelisch und körperlich misshandelt wird“, berichtet Pater Clement.
Zeichen der Hoffnung: Ein Onkel verhindert, dass seine Nichte als Leibeigene verkauft wird
Wie im Fall von Lakap Birap. „Dessen Tochter lebt als Leibeigene bei einer Nyishi-Familie, wo sie seelisch und körperlich misshandelt wird“, berichtet Pater Clement. „Sie darf ihre Eltern nicht besuchen und wird zur Heirat mit einem Puroik gezwungen. Ihr Vater möchte sie freikaufen, doch das geforderte Geld kann er nicht aufbringen.“ Bei einer Veranstaltung der Steyler in seinem Dorf erfährt Lakap Birap von der Schule. Als seine fünfjährige Nichte Sucila nach dem Tod ihres Vaters verkauft werden soll, schreitet er ein und meldet sie kurzerhand in der Schule an. Pater Clement erinnert sich gut an seine Worte: „Ich konnte meine eigene Tochter nicht retten – aber ich möchte nicht, dass dieses kleine Mädchen das gleiche Schicksal erleidet.“
Pater Clement sieht, dass sich sein Einsatz lohnt: Das Verhältnis zwischen Nyishis und Puroik beginnt sich langsam zu verändern. Nyishis erlauben den Puroik zunehmend, bezahlter Arbeit nachzugehen oder Brennholz, Gewürze und Fische zu verkaufen. Kaum noch verweigern sie „ihren“ Puroik-Kindern den Schulbesuch. Im Gegenteil – sie zeigen Interesse an deren Bildung und zahlen teilweise sogar die Schulgebühren. Diese sind für die Puroik-Kinder bewusst niedrig gehalten, um die Nyishis zu ermutigen, den Vätern einen Lohn zu zahlen, der den Schulbesuch ermöglicht. Der Plan geht auf: Immer mehr Puroik erhalten Geld für ihre Arbeit, und die Zahl der Kinder, die die Schule besuchen, wächst von Jahr zu Jahr.
Bei den Kindern beginnt die Veränderung
Die Hoffnung der Steyler ist, dass die jungen Puroik eines Tages selbstbestimmt leben und arbeiten können – vielleicht sogar in öffentlichen Ämtern. Doch noch ist der Weg lang. Wenn Mädchen ins Teenageralter kommen, holen die Nyishis sie oft zurück, um sie als Haushaltshilfen einzusetzen. Älteren Jungen wird bisweilen die weitere Schulbildung verweigert. Umso mehr freut sich Pater Clement, wenn Nyishi-Kinder inzwischen erkennen, dass die Puroik dieselben Rechte haben wie sie selbst – wenn sie miteinander spielen und Freundschaften entstehen. Er erzählt von einem kleinen Puroik-Jungen, um den sich ein älterer Nyishi liebevoll kümmert, ihn morgens anzieht, zur Toilette bringt, auf ihn aufpasst.
Kleine, aber bedeutende Zeichen der Veränderung – und große Ermutigung weiterzumachen.
Spenden

Bildung überwindet Grenzen: die Steyler Schule in Chayang Tajo
In der Steyler Schule in Chayang Tajo lernen Puroik- und Nyishi-Kinder gemeinsam | Foto: SVDWenn Sie die Steyler Schule in Chayang Tajo unterstützen wollen, können Sie spenden:
DEUTSCHLAND
Steyler Mission
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Stichwort 25LJINGC
ÖSTERREICH
Missionsprokur St. Gabriel International
IBAN AT26 2011 1800 8068 0800
Einzahlungsreferenz 1490X
Verwendungszweck Bildung verändert Leben
SCHWEIZ
Steyler Missionsprokur
IBAN CH16 0900 0000 9001 3192 2
Kennwort Kindergarten in Chayang Tajo
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