Erstellt von Xenia Frenkel

Wie das Land, so die Leute - was ist dran?

Wie sehr prägt uns unsere Herkunft?
Wie sehr prägt uns unsere Herkunft?

Sag mir, wo du herkommst - und ich weiß, wer du bist? | Foto: iStock

Kühle Nordlichter, knorrige Schweizer, gemütliche Österreicher – beeinflusst die Landschaft wirklich das Wesen des Menschen? Oder sind das alles Vorurteile? Lj-Autorin Xenia Frenkel versucht, das herauszufinden

Bloß keine Verallgemeinerungen, aber verschlossen und stur ist der Bergler ja schon. Schlecht gelaunt auch, jedenfalls aus Sicht des Flachländers. Und dieser Flachländer, das ist der komische Kauz, der so nüchtern daherkommt wie beispielsweise der Meck-Pommer. Dass der in seinen Märchen die Leute in einem „Pisspott“ hausen lässt, sagt ja schon alles.

Apropos „Pisspott“. Meine Großmutter erzählte mir oft das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“, und das stets im schönsten Platt. Sie kam aus Gevelsberg, und wenn sich mein Vater über sie ärgerte, murmelte er was von wegen „westfälischer Dickschädel“. Er selbst kam aus Thüringen, und wenn er nicht gerade mit seiner Schwiegermutter haderte, war er heiter, großzügig und fried­fertig. Streit pflege der Thüringer nur darüber, wie man Kloßteig richtig mischt, behauptete er. Das liege an der „heiteren Philosophen­landschaft“.

Ansonsten mochte mein Vater Menschen, die in der Nähe von Flüssen leben. Sie seien besonders aufgeschlossen, tolerant, gesellig und geschäftstüchtig, was er damit begründete, dass Flüsse immer schon Handelswege waren. Wer dort lebe, müsse mit Fremden klarkommen. Das hat was. Hilfreich sei auch das eine oder andere Glas Wein, wie er in gewässerreichen, wärmeren Regionen praktischerweise vor der Tür angebaut wird.

Fröhliche Wein-, grantige Biertrinker?

Leute aus Gegenden mit Weinanbau galten meinem Vater als liebenswerte Genussmenschen, viel lustiger als die bornierten, bayerischen „Bierdimpfl“, mit denen er in München als Zugezogener zu tun hatte. Sein bester Freund war ein Winzer aus der Wachau. Und was ist mit dem Wiener, diesem seltsamen Vogel, der seit Jahrhunderten an der schönen, blauen Donau siedelt und mies gelaunt beim Heurigen sitzt?

Da kommt der Steiermärker doch ganz anders daher, freundlich und charmant. Und erst der gradlinige, offene Tiroler, natur- und heimatverbunden. Obwohl, etwas kantig ist der ja schon. STOPP, HALT, es reicht mit den Vorurteilen.

Die Wissenschaft findet ein Körnchen Wahrheit

Die meisten Vorurteile pflegt bekanntlich, wer die wenigsten Erfahrungen mit der Gruppe hat, über die er redet. Aber könnte es nicht auch sein, dass bestimmte Stereotype ein Körnchen Wahrheit enthalten?

Das dachte sich jedenfalls ein internationales Forschungsteam und hat sich den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Landschaftsform genauer angesehen. Zuerst suchte man bei den mehr als drei Millionen Studien­teilnehmerinnen und -teilnehmern nach Unterschieden in der Ausprägung von fünf wichtigen Eigenschaften wie der Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, den „Big Five“ (siehe Kasten), unter Berücksichtigung der Topografie.

Dabei erschienen Menschen aus den Bergen, wenig verwunderlich, als emotional stabil, etwas introvertiert und weniger verträglich. Überraschenderweise aber auch als weniger gewissenhaft als der durchschnittliche Flachländer. Im Vergleich zu diesem war der Bergbewohner jedoch offener für Erfahrungen. Diese Effekte waren insgesamt zwar gering ausgeprägt, dafür aber stabil und selbst dann noch nachzuweisen, wenn Menschen im Lauf ihres Lebens aus ihrer Heimatregion wegzogen.

Die Landschaft formt die Persönlichkeit

Ein alter Freund, der, in Mannheim geboren, über vier Jahrzehnte in Oldenburg gelebt hat, fragt sich oft, wie er es bei den „niedersächsischen Stinkstiefeln“ so lang ausgehalten hat. Seit einem Jahr ist er zurück in der alten Heimat, und hier passt immer noch alles, die Leute, das Klima, die Sprache, das Essen. Ich denke an Nina, eine waschechte Oldenburgerin mit heiterem Gemüt, und sage nix.

Es ist ja so, dass derlei Einschätzungen immer recht emotional und persönlich daherkommen. Wenn meine Berner Freundin Michele ihre Landsleute beschreibt, kommen ihr spontan Menschen in den Sinn, die wie sie pünktlich, hartnäckig, vertrauenswürdig sind, aber auch ein wenig verschlossen, selbstbezogen und traditionalistisch. Laut einer anderen Studie ist der Durchschnitts-Schweizer allerdings weniger gründlich, als er denkt. Dafür jedoch offener gegenüber Neuem als der Durchschnitt in anderen Ländern. Mischi schaut zweifelnd: „Der Berner aber nicht.“

Introvertierte zieht es in die Berge, Extra­vertierte an die See

Tatsächlich gibt es so etwas wie eine Regionalpersönlichkeit, wobei nicht ganz geklärt ist, ob nun die Landschaft einen bestimmten Menschenschlag hervorbringt oder umgekehrt Menschen mit bestimmten Charaktereigenschaften bestimmte Landschaften bevorzugen und sich deshalb dort niederlassen. Jedenfalls sieht es so aus, als ob es in Metropolen besonders viele kreative, kunstinteressierte Köpfe gibt, besonders freundliche trifft man dafür in Baden und Bayern. In Niederbayern, Franken, im Ruhrgebiet und in Teilen Hessens geht es dagegen eher ruppig zu.

Ostdeutsche scheinen wiederum tendenziell gewissenhafter zu sein als „Wessis“. In Teilen von Süddeutschland haben Fleiß und Ordnung allerdings einen ähnlich hohen Stellenwert wie im Osten. Hier sind Menschen übrigens vergleichsweise introvertierter als in westlichen Bundesländern, ein Wesenszug, der sich auch bei Küstenbewohnern zeigt. Ansonsten zieht es Introvertierte verstärkt in die Berge, während Extravertierte am liebsten an die See fahren und gern in belebten Cafés und Parks sitzen.

Und noch etwas fanden die Forscher heraus: Wer in einer religiösen Gegend zu Hause war und auf seinem Grab ein Kreuz oder einen Engel hatte, war älter geworden. In einem frommen Umfeld lebt man also länger. Aber nur, wenn man glaubt, was dort alle glauben.

Es gibt solche und solche

Interessant ist es schon, wie hartnäckig sich bestimmte Vorstellungen halten. Etwa die vom herzlichen Südländer und vom kühlen Nordlicht. Hängt mit dem Wetter zusammen, ist doch klar. Wer ständig mit tief ins Gesicht gezogener Mütze gegen Dauerregen ankämpfen muss, kann gar nicht zugänglich sein. Scheint hingegen immer die Sonne, muss man das Leben einfach umarmen, oder?

Wissenschaftlich gesehen haben solche Einschätzungen wenig mit der Realität zu tun. Bestimmte Eigenschaften, ob positiv oder negativ, sind allen zu eigen, die sich auf diesem Erdenrund tummeln. Und so steht jedes Klischee letztlich ohne Beweis im Raum. Es kann alles auch ganz anders sein, es gibt solche und solche, nur, seltsam sind sie schon, die …

Weitere spannende Themen finden Sie in unserer Zeitschrift.

Zur Rubrik

Die „Big Five“

Dahinter verbergen sich folgende Merkmale:

  • Offenheit für Erfahrungen
  • Gewissenhaftigkeit
  • Extraversion
  • Verträglichkeit und
  • „Neurotizismus“ bzw. emotionale Labilität.

Laut Forschung sind diese fünf Eigenschaften maßgebend für die Charakterstruktur des Menschen. Dabei handelt es sich um universale Werte, wie sie in allen Kulturen existieren.

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