Erstellt von Nadine Vogelsberg

Braucht es heute Heilige?

Himmel über den Wolken
Heilige können für uns durchlässig auf Gottes Licht sein

Zu Gott beten - oder sich doch lieber an einen Heiligen wenden? Das muss für Katholiken kein Widerspruch sein. | Foto: Dominik Schroder/unsplash

Jahrhundertelang haben Katholiken Heilige angerufen und um Fürsprache gebeten. Sie sollen die Mittler sein, zwischen Gott und den Menschen. Aber was heißt das eigentlich für uns und unseren Glauben?

Meine Oma kannte sie alle: Haustürschlüssel verlegt? Da kann der hl. Antonius weiterhelfen! Morgen steht eine Reise an? Besser vorher eine Christophorus-Plakette ins Auto legen. Jemand hatte sich verletzt? Dann schnell die hl. Margareta anrufen! Meine Großmutter hatte sich eine recht stabile Brücke in den Himmel ­gebaut, alle möglichen Heiligen waren ihre Stütze.

Ein großes, etwas unhandliches Heiligenlexikon hatte ich zwar auch, aber die Heiligen darin blieben mir eher fremd. Klar, ich habe immer wieder mal in dem Buch geblättert, mir Lebensgeschichten durchgelesen und auch versucht mir die langen Absätze am Ende jedes Eintrags zu merken, in denen genau aufgelistet wurde, welcher Heilige bei welchem Problem zuständig sei.

Merken konnte ich mir das alles aber nicht. Und überhaupt: Warum einen Heiligen fragen, wenn ich mich doch gleich im Gebet an Gott selbst wenden kann?

Brücke oder Umweg? Was sind Heilige denn nun?

Im Katechismus heißt es, die Heiligen seien „Mittler zwischen Gott und den Menschen“. So faszinierend manche Heiligengeschichten auch sein mögen, so groß ihr Vorbildcharakter auch sei: Im Gebet schienen sie mir eher ein Umweg zu sein.

Zeit, sich an einen Experten zu wenden! „Der Begriff der Mittler stammt aus einer Zeit, in der man eine unendliche Distanz zwischen den Menschen und Gott annahm und in der auch die Gesellschaft hierarchisch strukturiert war“, erklärt Pater Bernd Werle SVD. Leuchtet ein: Im Mittelalter konnte der Knecht eines einfachen Bauern schließlich auch nicht einfach so zum König gehen. Und dieses Prinzip wurde dann einfach auf den Glauben übertragen: „Je weiter die Entfernung zwischen dem unendlich großen und majestätischen Gott und dem armseligen, mickrigen Menschen war, desto mehr Mittler brauchte man dazwischen, um seine Anliegen und Nöte von ganz unten nach ganz oben zu kriegen.“

Gott ist nicht weit weg

Seither ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Wir haben keine Könige mehr, sondern Kanzler: Gott erscheint nicht mehr wie jemand, an den wir unsere Bitten nicht richten dürften, wir können ihn durchaus selbst ansprechen. Auch Heilige kommen und gehen: Je nachdem, was uns Menschen aktuell bewegt: „Dass bestimmte Heilige Konjunktur hatten, hatte etwas mit den Lebenserfahrungen und Nöten der Menschen zu tun. Dann wurden bestimmte Heiligengestalten wichtig und verschwanden irgendwann wieder in der Versenkung, weil die Thematik, die sie vertreten, für Menschen auf einmal gar nicht mehr so wichtig war.“

So verstanden sind die Heiligen nicht unsere einzige Möglichkeit, Gott zu erreichen. Das können wir auch selbst. Heilige haben nicht einen besonders exzellenten Draht zu Gott. Aber sie können die Distanz überbrücken, die ich selbst zu Gott empfinden könnte. Sie können mir helfen, Aspekte zu sehen, die ich gerade übersehe.

Drachentöter und Nachbarschaftsheilige

Und das, so erklärt mir Pater Werle, können nicht nur die kanonisierten Heiligen: „Es gibt Heilige, die offiziell in Kalendern festgeschrieben sind. Und dann gibt es Abertausend Heilige, die nie kanonisiert worden sind, die aber ein heiliges Leben geführt haben. Wenn ich Papst Franziskus folge, gibt es sogar den ‚Heiligen in der Nachbarschaft‘, dem man seine Heiligkeit gar nicht ansieht.“ Die Vorstellung, dass überall um mich herum Menschen sind, die mir etwas von Gott zeigen – dass ich selbst anderen Menschen ein Stückchen davon vermitteln könnte –, ist mehr als ermutigend. Das macht die Welt zu einem helleren Ort. Wobei: Wir dürfen natürlich nie vergessen, dass das Prädikat „heilig“ nur Gott allein zukommt.

„Heilige sind nicht das Licht, das ist Gott. Aber sie sind Menschen, durch die dieses Licht in die Welt ausstrahlt“, sagt Pater Werle dazu. Denn manchmal begegnen uns Menschen, die derart viel Licht, Liebe, Glaube oder Hoffnung in unser Leben bringen, dass wir eine Ahnung davon bekommen können, was Gott eigentlich für uns Menschen will. Pater Werle stellt sich das so vor: Es ist wie Licht, das durch ein Prisma fällt und sich in Abertausend Farbschattierungen bricht. Das Licht Gottes bricht sich im Menschen und wird uns dadurch zugänglich. Alle Menschen, die uns irgendetwas vom großen, heiligen Gott vermitteln, dürfen für uns Heilige sein.

Der Mensch als Gottes Ebenbild

Mir leuchtet das sofort ein: Solche Heiligen fühlen sich für mich viel näher an als die großen Geschichten, mit denen ich aufgewachsen bin: Ich bin weder eine Drachentöterin noch eine Märtyrerin. Dass an mir etwas Heiliges sein könnte, käme mir vermessen vor. Dabei erinnert Pater Werle mich daran, dass, wenn wir Menschen nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden, ja etwas Göttliches in uns allen sein müsse: „Dass wir relativ schwache und verletzliche Menschen uns gegenseitig etwas von Gott vermitteln können, hat etwas mit Gottes Gnade und Liebe zu tun, die in irgendein Herz gefallen ist und das Herz angerührt hat, sodass es auch anfing, diese Liebe auszustrahlen. Durch dieses Licht können Heilige zu Mittlern werden. Das heißt, Heilige können so durchlässig werden für das Licht, dass wir durch sie den Weg zu Gott finden.“

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Prof. Dr. Bernd Werle SVD:

  • 9. Juni 1955 geboren in Baumholder (Rheinland-Pfalz)
  • 1974 Abitur an der Missionsschule Sankt Wendel
  • 1980 Ewige Gelübde in der Gesellschaft des Göttlichen Wortes (Steyler Missionare)
  • 1981 Priesterweihe
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