Erstellt von Ulla Arens
Die Steyler & ich

Ist Zweifel ein Teil des Glaubens?

Beschreibung

Illustration eines Mannes, der mit einer Lupe ein Fragezeichen untersucht
Der Zweifel macht niemanden zu einem schlechteren Gläubigen, eher im Gegenteil

Jeder Mensch zweifelt schon mal, das gehört dazu - auch im Glauben | Foto: shutterstock

Darf ich als guter Christ meinen Glauben infrage stellen? Oder soll ich meine Zweifel unterdrücken? Der Steyler Priester und Philosoph Fidelis Regi Waton gibt Antworten

'Leben jetzt': Ich möchte Ihnen zu Anfang unseres Gesprächs eine sehr persönliche Frage stellen: Kennen Sie Glaubenszweifel aus eigener Erfahrung?
Fidelis Regi Waton: 
Natürlich. Im Laufe meines Lebens hat es immer wieder Momente gegeben, in denen ich gezweifelt habe. Etwa als ich als junger Mann sehr krank war. Da habe ich mir die Frage gestellt: Warum ausgerechnet ich? Womit habe ich das verdient? Ich bin nun mal ein Kopfmensch, brauche Erklärungen und habe keine gefunden. Auch Gebete haben mir damals nicht geholfen. Während meines Philosophiestudiums gab es ebenfalls genügend Situationen, in denen ich mit meinem Glauben gehadert habe.

Lj: Und dann war der Zweifel irgendwann wieder weg?
Waton: Er ist immer in mir, auch wenn ich ihn nicht spüre. Ich habe das für mich akzeptiert und bin zu der Überzeugung gelangt, dass der Zweifel zum Glauben dazugehört. Nicht nur zu meinem persönlichen Glauben, sondern zum Glauben allgemein. Und mit jeder neuen Erfahrung, die man macht, kommen neue Fragen, neue Zweifel. Glaube ohne Zweifel wäre meiner Meinung nach lebensfern.

Lj: Aber ist der Zweifel nicht der Feind des Glaubens?
Waton: Das sehe ich nicht so. Wenn ich zweifle, heißt das doch nicht unbedingt, dass ich meinen Glauben verliere. Er ist eher wie ein Anstoß oder eine Anregung, Fragen zu stellen, zu prüfen, nicht alles hinzunehmen. Dadurch erfahre ich mehr, gehe in die Tiefe. Das kann letztlich dazu führen, dass man mehr Gründe findet, warum man glaubt und damit den Glauben stärkt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass er naiv und oberflächlich bleibt. Auch die Kirche hat da ihre Meinung geändert. Der Zweifel wird nicht mehr als Gegenteil des Glaubens oder sogar als Sünde betrachtet, sondern als ein Teil des Glaubensprozesses. Selbst Papst ­Franziskus hat ja offen über seine Glaubenszweifel gesprochen. Es ist auch nicht der Wunsch von Kirche, dass man seinen Kopf ausschaltet. Fragen zu stellen, zu zweifeln ist ja zutiefst menschlich. Und Zweifel bewahren uns auch vor einem blinden Glauben. Und der hat ja in der Geschichte der Menschheit schon mehr als genug Unheil angerichtet.

Lj: Ihrer Meinung nach ist der Glauben also keine Gewissheit?
Waton: Nein, das ist er nicht. Für mich ist er eine Entscheidung.

Lj: Das müssen Sie genauer erklären.
Waton: Wenn ich meinen Glauben hinterfrage, wirft jede Antwort, die ich finde, eine neue Frage auf. Aber irgendwann stößt mein Verstand an eine Grenze, da komme ich nicht weiter. Einfach, weil der Mensch das Göttliche nun mal rational nicht erfassen kann. Und an dem Punkt bin ich gefordert, mich zu entscheiden: Glaube ich oder glaube ich nicht. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard nannte das „den Sprung in den Glauben“. Dieser Sprung oder Wille zum Glauben ist meiner Meinung nach eine ganz persönliche Entscheidung. Und eine, die man immer wieder aufs Neue macht, wenn Zweifel aufkommen.

Lj: Heißt das, dass man sich erst durch den Zweifel für den Glauben entscheiden kann?
Waton: Es bedeutet, dass erst dann der Glaube eine freie Entscheidung ist. Ansonsten wäre er nicht meine bewusste Wahl, sondern nur anerzogen oder gesellschaftlich vorgegeben. Der Zweifel ist also letztlich nötig, damit der Glaube auch wirklich mein eigener ist.

Lj: Was raten Sie Menschen, die unter ihren Glaubenszweifeln leiden?
Waton: Sie sollen vor allem den Zweifel wahr- und ernst nehmen. Ihn nicht verdrängen. Sie können über ihr Ringen mit ihrem Seelsorger sprechen oder anderen Menschen, die ihnen nahestehen. Sie können dazu entsprechende Literatur lesen. Und sie können mit Gott sprechen. Mit ihm schimpfen, ihn anklagen. Das ist ebenfalls eine Art von Gebet – ein besonders ehrliches und authentisches. Auch Hiob hat Gott angeklagt, als ihm so viel Unheil widerfuhr. Verzweiflung und Zweifel gehören da zusammen. 

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Unser Gesprächspartner

Pater Fidelis Regi Waton SVD begleitet als Präfekt den Ordensnachwuchs der Steyler Missionare während des Studiums. Er lehrt Philosophie an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

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