'Leben jetzt': Sie leben als Einsiedler in einer Klause gleich neben einer kleinen Kapelle – wie würden Sie „Dankbarkeit“ in Ihrem Alltag beschreiben?
Norbert Cuypers SVD: Für mich ist Dankbarkeit zuallererst eine innere Haltung und keine bloße Höflichkeitsformel. Ich versuche sie täglich einzuüben und jenen Menschen entgegenzubringen, die an der Tür meiner Klause das persönliche Gespräch mit mir suchen.
Lj: In Ihren Kolumnen haben Sie viele kleine „Tür-Momente“ beleuchtet – was war für Sie persönlich in den letzten Jahren ein Moment besonderer Dankbarkeit?
Cuypers: Ich bin dankbar für all jene Begegnungen, in denen ich erleben darf, wie Menschen nach einem guten Gespräch wieder zuversichtlicher in ihren Alltag zurückkehren. Besonders erinnere ich mich an eine ältere Dame, die sich lange nicht traute, das Gespräch mit mir zu suchen – bis ihr 20-jähriger Enkel sie ermutigte. Kurz darauf kam auch er selbst zu mir. So zieht das gute Kreise – und das gefällt mir!
Lj: In der Einsamkeit der Klause – wie gehen Sie damit um, wenn Dankbarkeit schwerfällt, wenn Zweifel oder Leid überwiegen?
Cuypers: Meine Mutter sagte oft: „Nach jedem Regenschauer kommt die Sonne wieder.“ Ich versuche also, die schweren Momente nicht zu bekämpfen, sondern sie anzunehmen – im festen Vertrauen darauf, dass es wieder andere Tage geben wird. Das ist nicht immer leicht. Doch wenn ich mir bewusst mache, dass vieles im Leben Geschenk ist und nicht selbstverständlich, führt das zu mehr innerem Frieden und Demut.
Lj: Welche Rolle spielt der Blick auf das Gewöhnliche – etwa Tagesrituale oder die Natur – für Ihre Haltung der Dankbarkeit?
Cuypers: Dem Alltag Struktur zu geben, halte ich für sehr wichtig. „Halte die Regeln, dann halten die Regeln dich“, sagt eine alte geistliche Weisheit. Zu meinen wichtigsten Ritualen gehören das tägliche Lesen in der Heiligen Schrift, Schweigemeditation und Tagebuchschreiben. Auch meine „Gebetsspaziergänge“ – stille Zeiten in der Natur – tun mir gut. Wenn ich mich ganz auf das Hier und Jetzt einlasse, stellt sich oft ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit ein, Teil des großen Ganzen zu sein.
Lj: Wie waren die Reaktionen auf Ihre Kolumne? Für welche sind Sie besonders dankbar?
Cuypers: Viele Menschen haben mir geschrieben, dass ihnen die einfachen, alltagsnahen Geschichten geholfen haben, die Schönheit des Glaubens neu zu entdecken. Besonders berührt hat mich der Besuch eines 92-jährigen Lesers, der von weit her kam, um mit mir über sein Leben zu sprechen. Dieses Vertrauen hat mich tief dankbar gemacht.
Lj: Welchen Impuls möchten Sie den Menschen für den Alltag mitgeben – wie lässt sich Dankbarkeit üben?
Cuypers: Dankbarkeit kann man bewusst einüben – etwa mit einem Dankbarkeitstagebuch oder einem Moment des Innehaltens vor dem Schlafengehen. Dorothee Sölle empfahl, jeden Abend drei Dinge zu nennen, für die man dankbar ist. Diese Übung hilft mir, auf die Fülle des Lebens zu schauen, auch wenn es schwerfällt.
Lj: Welche Hoffnung verbinden Sie mit dem Thema Dankbarkeit im neuen Jahr – persönlich und für Kirche und Gesellschaft?
Cuypers: Dankbarkeit stärkt Vertrauen, Wertschätzung und Verbundenheit. Das ist es, was wir – als Gesellschaft und als Kirche – heute am dringendsten brauchen. Ich hoffe, dass ich diese Haltung auch im neuen Jahr nicht aus dem Blick verliere.


