Erstellt von Xenia Frenkel

Steyler Kardinal László Német über Papst Leo, KI und die Zukunft der Kirche

Beschreibung

László Német SVD empfängt die Kardinalswürde von Papst Franziskus
Seit dem 5. November 2022 ist László Német SVD Erzbischof von Belgrad

Papst Franziskus nahm László Német SVD am 7. Dezember 2024 als Kardinalpriester in das Kardinalskollegium auf | Foto: Pro Imago Life

László Német SVD spricht im Interview über den neuen Papst, globale Verantwortung und die Rolle der Kirche in einer digitalen Welt. Ein Gespräch über Zeiten des Umbruchs – und über den Anspruch der Steyler, für die Menschenwürde einzutreten

‚Leben jetzt‘: Der neue Papst ist Augustiner. Welche Bedeutung hat seine Ordenszugehörigkeit für das Amt?
Kardinal László Német SVD: 
Vielleicht enttäusche ich Sie jetzt, aber bei den zwölf Vorgesprächen zum Konklave, jedes dauert 90 Minuten, wurde die Ordenszugehörigkeit von Kardinal Prevost nicht mal erwähnt. Wir haben nicht über Theologie gesprochen, sondern einen Mann gesucht, der einem bestimmten Profil entspricht. Ordensangehörige bringen allerdings eher als Diözesanpriester die weltweite Sicht, sind mehr erfahren, was Vielfalt bedeutet. In diesem Sinne war klar, dass jemand die Kirche leiten soll, der keine Angst vor Diversität hat und sozusagen katholisch erfahren ist.

Lj: Seit Papst Leo in Rom ist, wird Augustinus aber doch recht oft in seinen Reden zitiert.
Német: 
Das ist ganz normal, es ist ja sein spirituelles Obdach, sein Zuhause. Wirklich wichtig für ihn ist Leo XIII. und dessen Soziallehre. Damals war das maßgebliche Ereignis die industrielle Revolution. Sie veränderte das Leben der Menschen, die bäuerliche Gesellschaft, in nie da gewesener Weise. Es entstand eine neue Klasse, die Arbeiter, unterdrückt und ohne Rechte. Heute, sagt der Papst, stehen wir mit der Digitalisierung vor einer ähnlichen Umwälzung, und zwar global. Noch gibt es hier keine klaren, verbindlichen politischen Richtlinien, wie man etwa der potenziellen Gefahr von Massenarbeitslosigkeit und in der Folge Massenverarmung entgegentreten kann. Da muss die ganze menschliche Familie zusammenarbeiten.

Lj: Was heißt das für die Steyler Familie?
Német: 
Wir haben die Möglichkeit, durch die Verkündigung der Frohen Botschaft auf Menschen einzuwirken, damit sie zum Beispiel bei Wahlen die richtige Entscheidung treffen. In den USA hat die Mehrheit der Katholiken ausgerechnet diesen Präsidenten gewählt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Akzent auf den Menschen und seine Würde legen und auch verteidigen. Auch wenn der Mensch nicht unbedingt das vollkommenste Produkt der Schöpfung ist, ist er doch das einzige Wesen, das – mit einem Gewissen ausgestattet – in einer dialogischen Partnerschaft zu Gott steht und Verantwortung für seine Taten übernehmen kann. Nach unserem Glauben ist die Inkarnation zentral. Gott ist Mensch, nicht Stein geworden. Dieser Mensch Jesus, der Mann aus Nazareth, ist für uns maßgeblich. Das Christentum wird immer für seine Wahrheit einstehen: für Freiheit, für Gerechtigkeit und für die unveräußerliche Würde jedes Menschen.

Lj: Die erste Enzyklika des neuen Papstes wird mit Spannung erwartet. Wissen Sie vielleicht schon, welche Fragen Papst Leo im Einzelnen aufgreifen wird?
Német: 
Ich weiß, was ihm am Herzen liegt, das hat er auch schon öffentlich gesagt. Das ist zum einen das Thema künstliche Intelligenz, auch im Hinblick auf die Würde von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die durch die KI ihre Arbeitsplätze verlieren werden oder bereits verloren haben. Zum anderen könnte es wohl um die Rolle der Medien gehen, und da um das Problem von Hassrede und Fake News, die wiederum mit der künstlichen Intelligenz zusammenhängen. Neben den bereits genannten Themen Gerechtigkeit und Gleichheit wird er sicher auch auf die drängende Frage des Friedens in der Welt eingehen. Der Papst hat ja bereits ein Gespräch mit Putin geführt, wovon sicher auch Patriarch Kyrill erfahren hat. Das ist ein guter Anfang.

Lj: Sie haben vorhin bereits darauf hingewiesen, dass Fragen um Krieg und Frieden, KI und Gerechtigkeit globale Lösungen erfordern. Wie könnten die aussehen?
Német:
 Zunächst müssen wir endlich andere Realitäten wahr- und ernst nehmen, auch wenn sie vielleicht nicht hundertprozentig unseren Vorstellungen entsprechen. Wir müssen uns eingestehen, dass es nicht allein das Ergebnis von Arbeit und Fleiß ist, warum es uns in Europa im Vergleich zu anderen Ländern so gut geht. Unser Wohlstand basiert zu einem nicht geringen Teil darauf, dass wir die Ressourcen anderer Länder ausgebeutet haben und weiterhin ausbeuten. Deshalb haben wir als reiche Länder auch eine größere Verantwortung als die ärmeren. Wir müssen für eine gerechtere Verteilung sorgen und uns in der Klimapolitik besonders engagieren. Wir brauchen einen neuen Humanismus, wo Solidarität, Zusammenarbeit, Dialog wichtiger sind, als um jeden Preis reich zu werden und seine Pfründe zu verteidigen. Solange die gesamte Wirtschaft auf einer Ideologie des Wachstums fußt, ist es fast unmöglich, über Demut, Verteilung und Solidarität zu sprechen.

Lj: Mein Eindruck ist, dass es an glaubwürdigen Stimmen fehlt, die in diesen Fragen Position beziehen.
Német: 
Wir alle, aber besonders wir als Christen brauchen mehr Mut, die Dinge klar zu benennen. Wir müssen die Eigenverantwortung stärken, statt einem vermeintlich starken Leader, das andere Wort vermeide ich, hinterherzulaufen. Es ist außerordentlich gefährlich, irgendwelchen politischen Ideen von angeblichen Wahrheiten anzuhängen und seine Verantwortung abzugeben. Heute werden Menschen angegriffen, weil sie anders denken, eine andere sexuelle Orientierung haben oder in anderer Weise nicht dem eigenen Bild entsprechen. Feindbilder zu kreieren und zu verbreiten, ist jedoch zutiefst unchristlich, und das muss ein Ende haben. Hier sind wir Kirchen, Religionsgemeinschaften mehr denn je gefragt.  

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