Wie die Steyler Missionare den Guaraní in Argentinien helfen, ihre indigene Kultur zu bewahren
Beschreibung
Tausende Jahre streifte das indigene Volk der Guaraní durch die Wälder Südamerikas. Dann kamen die weißen Siedler, vertrieben und ermordeten sie, nahmen das Land in Besitz. In Misiones, im Norden Argentiniens, leben noch ein paar Tausend Ureinwohner – in großer Armut. Die Steyler helfen ihnen, ihre Kultur zu bewahren
Für das indigene Volk der Guaraní aus dem Norden Argentiniens ist der Wald von immenser Bedeutung: Er ist ihre angestammte Heimat, schenkt ihnen Nahrung und Medizin. Dafür muss man ihm danken. Und ihn respektieren. Die Guaraní handeln nur im Einklang mit der Natur, sind selbst Teil davon. Darum jagen sie nur, was sie zum Leben brauchen. Und alles, was dort wächst und lebt, ja sogar Unbelebtes hat eine Seele, ist miteinander verbunden. „Der größte Wunsch meines Volkes ist es, wieder im Wald zu leben“, sagt Juan Carlos, 31, aus der indigenen Gemeinschaft Tekoa Miri.
Doch diesen Wald, so Juan Carlos, gebe es nicht mehr. Ihr Paradies ist verloren. Die Bäume wurden längst gefällt, das Land schon vor Jahrhunderten von den Weißen in Besitz genommen und damit den Guaraní, die Tausende von Jahren in Argentinien und im angrenzenden Paraguay und Brasilien gelebt haben, der Lebensraum entzogen.
Ein friedliebendes Volk
Einst durchwanderten sie als Jäger und Sammler die Weiten der südamerikanischen Wälder. Jetzt sind sie gezwungen, sesshaft zu sein. Ihre Heimat ist zusammengeschnurrt zu kleinen Dorfgemeinschaften, wo sie, wenn sie Glück haben, noch ein kleines Stück unberührter Natur finden. Immer in Gefahr, von Konzernen oder Großgrundbesitzern vertrieben zu werden, die das Land kaufen. Die Guaraní wehren sich nicht, sie sind ein zutiefst friedliebendes Volk. Außerdem: Das Konzept, Land zu besitzen, ist ihnen völlig fremd – es kann in ihrer Vorstellung nicht Eigentum sein.
Der Weg nach Tekoa Miri führt kilometerlang über unbefestigte rote Lehmstraßen. Wo einst Regenwald war, wechseln sich jetzt Tee- und Matefelder mit Kiefer- und Eukalyptusplantagen ab – die Bäume ordentlich in Reih und Glied gepflanzt. Das Holz der Kiefern wird zu Papier verarbeitet. Aus dem Eukalyptus, der viel Wasser braucht – Wasser, das den Guaraní fehlt –, werden Möbel gefertigt.
Nur ein kleines Stück Wald ist der Dorfgemeinschaft geblieben, in dem sie immer noch Fallen stellen, mit Speeren jagen und fischen. Aus dem Dorf, in dem sie leben, kann man sie immerhin nicht mehr vertreiben, denn der Grund und Boden gehört ihnen, gekauft von den Steyler Missionaren. Es war Pater Josef Marx (1934–2009), der sich als Erster der Guaraní annahm, für ihre Rechte eintrat. Heute ist die Stiftung „Fundación Padre José Marx SVD“, in dessen Vorstand die Steyler Schwestern und Missionare sitzen, der Anwalt der Guaraní. „Oberstes Ziel unserer Arbeit ist es, die Bildung der Guaraní zu verbessern, die Eigenständigkeit der Gemeinschaften zu stärken, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern und ihre Kultur zu bewahren“, sagt Daiana Jacoboski, Mitglied der Stiftung und Lehrerin an einer der Schulen, die die Steyler für die Guaraní gebaut haben.
Lebensraum und Kultur der Guaraní sind gefährdet
Denn die Kultur der Guaraní ist gefährdet – nicht nur durch den Verlust ihres Lebensraums. Die moderne Zivilisation hat längst Einzug gehalten, auch wenn die Indigenen abseits weißer Siedlungen und Städte wohnen und den Kontakt wenn möglich meiden. Sie sind westlich gekleidet, es gibt fließendes Wasser aus einem Brunnen, Strom, Fernseher. Während die kleinen Kinder auf Bäume klettern, miteinander wetteifern, wer sich am geschicktesten und schnellsten an den Ästen entlanghangeln kann, schauen die Älteren bereits gebannt auf das Handy. Damit dringt der weiße Lebensstil ungefiltert und unaufhaltsam in die Gemeinschaften ein. Letztlich verlören die Guaraní dadurch ihre Traditionen, so die Befürchtung. Auch Alkohol hätten die Weißen in die Welt der Guaraní gebracht, so Daiana. Nicht selten ein Problem in den Dörfern.
Etwas Geld verdienen die Guaraní durch den Verkauf geflochtener Körbe und geschnitzter Tiere aus Holz an Touristen. Und wie alle Argentinier bekommen sie Kindergeld. Sie haben außerdem begonnen, ein wenig Landwirtschaft zu betreiben, Obst und Gemüse anzubauen. Was sie selbst nicht verbrauchen, verkaufen sie. „Wenn sie als Tagelöhner arbeiten, werden sie oft ausgenutzt“, berichtet Daiana. „Sie verdienen zu wenig oder es wird Lohn versprochen, der dann aber nicht ausgezahlt wird.“
In der Steyler Schule für die Guaraní
Am Rand von Tekoa Miri steht die von den Steylern gebaute Schule. Hier lernen die Kinder Spanisch – untereinander sprechen die Guaraní ihre eigene Sprache –, lesen, schreiben und rechnen. Nicht, damit sie sich der Welt der Weißen anpassen und sich integrieren, sondern um sich in ihr zurechtzufinden. Wer rechnen kann, wird beim Ein- oder Verkaufen auf dem Markt nämlich nicht übers Ohr gehauen. Etwas, das oft genug passiert. Die Steyler haben sogar Lehrbücher auf Guaraní drucken lassen. Dazu wurde die sonst nur gesprochene Sprache in lateinische Schrift übersetzt. Auch das hilft, die ansonsten nur mündlich überlieferten Traditionen zu erhalten. Lediglich ein kleiner Teil der Kinder geht auf eine weiterführende Schule, wozu sie einen weiten Weg zurücklegen müssten. „Da fühlen sie sich unwohl, haben Angst, von weißen Mitschülern schikaniert zu werden“, so Daiana.
Die Lehrer unterrichten gerne in den Guaraní-Gemeinschaften: „Die Kinder sind motiviert, wollen lernen. Sie sind ruhig, es gibt kein Geschrei, keine Prügeleien, kein Mobbing wie an öffentlichen Schulen“, sagt einer von ihnen. Das Besondere am Unterricht: Den weißen Lehrkräften ist immer ein Guaraní zur Seite gestellt. Wie Juan Carlos, der auf Guaraní Kuaray heißt. Er soll dafür sorgen, dass die Kinder die traditionellen Fertigkeiten, die sie ohnehin im Alltag lernen und leben, weiter vertiefen. Er zeigt den Schülerinnen und Schülern, wie man jagt und Fallen baut, oder berichtet ihnen von den unterschiedlichen Göttern, allen voran dem Schöpfergott Nanderu.
Juan Carlos führt uns eine Böschung hinunter Richtung Fluss. Fische gibt es hier kaum noch. Die Gewässer sind verseucht. Dünger und Unkrautvernichter, vor allem Glyphosat werden auf die Felder gesprüht, sickern in den Boden, vergiften die Flüsse. Fabriken leiten Abwasser hinein. Auch das verschärft die prekäre Lage der Indigenen. „Wenn wir zehnmal zum Angeln gehen, fangen wir höchstens dreimal einen Fisch“, sagt Juan Carlos.
Und doch, trotz dieser schwerwiegenden Herausforderungen ist es immer noch das Leben, das er sich wünscht. „Hier möchte ich bleiben. Hier lebe ich in Frieden, es ist ruhig, still, frei von Lärm“, sagt er auf dem Rückweg.
Gemeinschaft bedeutet den Guaraní viel. Individualismus ist in ihrem Denken nicht vorgesehen. Natürlich gibt es in den Dörfern auch Streit. „Aber dann organisieren wir eine Versammlung und suchen nach einer Lösung. Immer friedlich, immer nur mit Worten“, sagt Fabian, Guaraní-Lehrer an der Dorfschule der Gemeinschaft von Ka’aguy Yvate. Lässt sich der Konflikt nicht schlichten, zieht die betroffene Familie in eine andere Dorfgemeinschaft. Damit ist der Frieden, den alle anstreben, wiederhergestellt.
Ein kleines Paradies
Und dann zeigt uns Fabian noch einen ganz besonderen Ort des Friedens und der Schönheit, der dem Dorf hilft, das Elend auszuhalten: einen Wasserfall mitten in dem kleinen Wald, der an ihr Dorf grenzt. Wir sind die ersten Fremden, die ihn sehen dürfen. Sonnenstrahlen finden den Weg durch die dichten Baumkronen und lassen das Wasser funkeln. Große metallisch-blaue Schmetterlinge flattern dicht über den Steinen. Kinder springen von den Felsen ins Wasser, spritzen sich gegenseitig nass, lachen, schwimmen. Hier ist es endlich: ein kleines Stück Paradies.
Ein Volk auf der Suche
Die Geschichte der Guaraní, die Brasilien, Paraguay, Bolivien und Argentinien bevölkerten, reicht Tausende Jahre zurück. Solange sie denken können, sind die Guaraní bei ihren Wanderungen auf der Suche nach dem „Land ohne Übel“. Einem mythischen, paradiesischen Ort ohne Leid. Gefunden haben sie ihn nicht. Stattdessen kamen im 16. Jahrhundert die Europäer nach Südamerika, nahmen ihnen das Land weg, schleppten Krankheiten ein, versklavten und töteten sie. Die Jesuiten versuchten im 17. Jahrhundert die Guaraní vor den portugiesischen Sklavenhändlern zu schützen und zu missionieren, indem sie Siedlungen für sie bauten, sogenannte Reduktionen. Im 18. Jahrhundert wurden dann die Jesuiten vertrieben. Heute leben noch über 200.000 Guaraní in Südamerika. Sie sind ausgegrenzt, leben in großer Armut. Immer wieder wird von hohen Suizidzahlen berichtet.
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