Erstellt von Melanie Fox

Daniel Dettling: „Kommen die Menschen nicht in die Kirche, muss die Kirche zu ihnen kommen“

Zukunftsforscher Daniel Dettling
Daniel Dettling: „Kommen die Menschen nicht in die Kirche, muss die Kirche zu ihnen kommen“

Der Zukunftsforscher Daniel Dettling blickt optimistisch in die Zukunft, auch, was den Klimawandel betrifft. | Foto: PR

Eine bessere Zukunft ist möglich, sagt der Zukunftsforscher Daniel Dettling. Unsere Redakteurin Melanie Fox wollte wissen, wie er auf diesen Gedanken kommt und wie er die Kirche der Zukunft sieht.

Leben jetzt: War früher alles besser?
Daniel Dettling: Nein. Dieses Gefühl lässt sich empirisch nicht belegen. Dass wir dieses Gefühl haben, ist eher ein Zeichen dafür, dass wir uns nach Orientierung und Kontrollierbarkeit sehnen. 

Lj: Warum blicken wir eher pessimistisch in die Zukunft?
Dettling: Das ist immer eine Frage der Perspektive. Asiaten und Afrikaner haben im Vergleich zu uns Europäern – oder generell den Menschen in der westlichen Welt – eine wesentlich positivere Vorstellung von der Zukunft.

Lj: Warum?
Dettling: Weil ihr Lebensstandard gestiegen ist und in Zukunft weiter steigen wird.

Lj: Obwohl beispielsweise die afrikanischen Länder unter extremer Armut leiden?
Dettling: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, um eine Milliarde verringert. Funktionierende Demokratien leiden weniger darunter.

Lj: Welche Rollen werden Frauen im 21. Jahrhundert spielen?
Dettling: Sie werden es maßgeblich prägen, sowohl politisch und ökonomisch als auch sozial und kirchlich. Wir Männer können viel von ihnen lernen. Frauen kommunizieren anders, moderieren mehr, suchen den Ausgleich, sind fairer. Wer das Thema Frauen vernachlässigt, hat keine Zukunft. Der verschwindet vom Markt – egal ob als Kirche, als Partei oder als Unternehmen.

Lj: Welchen Stellenwert wird die Kirche künftig in unserer Gesellschaft haben?
Dettling: Sie wird mehr denn je gebraucht werden. Die Menschen sind auf der Suche nach Sinn und Orientierung. Nach Jenseitigkeit. Sie wollen nicht nur im Diesseits ihr Glück suchen, sondern der nächsten Generation etwas hinterlassen. Schon Martin Luther hat gesagt: „Ecclesia semper reformanda est“ …

Lj: … übersetzt: Die Kirche muss immer wieder erneuert werden.
Dettling: Dazu wäre jetzt die beste Gelegenheit. Das Problem ist nur: Die Menschen nehmen Kirche im Augenblick nicht als „semper reformanda“ wahr, sondern als mit sich selbst beschäftigt, wenig selbstkritisch und von sich und der Zukunft überzeugt.

Lj: Was müsste die Kirche Ihrer Meinung nach anders machen, um zukunftsfähig zu sein?
Dettling: Sie muss hinaus in die Gesellschaft gehen. Kommen die Menschen nicht in die Kirche, muss die Kirche zu ihnen kommen. In die Armutsviertel, in die Häuser. Menschen sehnen sich nach Glück, Orientierung und Religiosität. Wir überlassen viele Fragen zu sehr der Unterhaltungsindustrie und den sozialen Medien. Die eigentlichen Plattformen für Sinn und Orientierung sind aber doch die Kirchen, Schulen, Vereine und Parteien. Es fehlen ansprechende Angebote, gerade für Jugendliche, die sagen: Wir sind da. Hier bräuchte es Netzwerke, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Auch wenn sich Heranwachsende vielleicht jahrelang nicht auf Angebote melden – irgendwann kommen sie wieder. Das ist wie beim Gleichnis mit dem verlorenen Sohn. Niemand ist verloren.

Lj: Wie müsste die Kirche der Zukunft aussehen, damit sie bestehen bleibt?
Dettling: Bunter, vielseitiger, jünger – und weiblicher.

Mehr Fragen und Antworten finden Sie in unserer Zeitschrift.

Zur Rubrik

Kritischer Zukunftsoptimist

Daniel Dettling, 49, ist Jurist und promovierter Verwaltungswissenschaftler. Er analysiert relevante Trends und die wichtigsten Zukunfts­themen, befasst sich mit dem Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und berät Parteien, Ministerien und Unternehmen. Mit seiner Frau und den drei Kindern lebt er in Berlin.

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