Myzel erklärt: Das geheime Leben der Pilze
Beschreibung
Fotograf Matthias Seemann lichtet schon seit Jahren Pilze ab - im Wald oder im botanischen Garten
Rund 70 Pilzarten leuchten im Dunkeln. Mithilfe von Sauerstoff und Energie schaffen diese Arten das ganz aus eigener Kraft – und ziehen so Insekten an, die dann für die weitere Verbreitung der Pilze sorgen | Foto: Matthias Seemann
Aber was ist eigentlich ein Pilz? Wie eine Pflanze ist er ortsgebunden, aber er kann keine Photosynthese betreiben. Wie Tiere muss er Nahrung aufnehmen, und ähnlich wie bei Insekten besteht seine Zellwand nicht aus Zellulose, sondern aus Chitin. Schwammerl sind weder Pflanze noch Tier – sie machen ihr eigenes Ding. Einer von ihnen ist das größte Lebewesen der Welt
In der Pfanne mit Speck und Zwiebeln zu landen – kulinarisch reizvoll, aber wissenschaftlich gesehen nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Pilze, genauer gesagt ihr unterirdisches Netzwerk, das Myzel, gehören zu den faszinierendsten Organismen der Natur. Was wir beim Waldspaziergang als Fruchtkörper sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Das Myzel besteht aus einzelnen Fäden, den Hyphen, auch Pilzfäden genannt. Ein einzelner Faden ist für das bloße Auge unsichtbar. Erst gemeinsam bilden sie das Myzel. Das kann beeindruckend groß werden, etwa im Fall des dunklen Hallimasch-Pilzes in Oregon, USA: Er ist rund 2000 Jahre alt, 600 Tonnen schwer und fast tausend Hektar groß. Damit gilt er als das größte Lebewesen der Welt.
Doch noch einmal zurück zum Myzel: Es breitet sich im Erdreich, im Holz und – wenn es schlecht läuft – in unseren Lebensmitteln aus, wo es sicherstellt, dass der Pilz Nährstoffe erhält. Dazu zersetzt das Myzel organische Stoffe, nimmt den für sich verwertbaren Teil auf und gibt den Rest wieder ab, etwa an den Waldboden, womit es auch den anderen Waldbewohnern hilft. Mit einigen Bäumen gehen manche Pilzarten dabei eine Art Partnerschaft ein: Sie umschließen die Wurzeln der Pflanzen und versorgen sie mit Wasser und Nährstoffen. Im Gegenzug erhalten die Schwammerl Zucker und Stärke, also Kohlenstoffverbindungen, die sie nicht selbst herstellen können. Nicht immer gereicht so eine Verbindung allen Beteiligten zum Vorteil: Pilze können Bäume auch angreifen und so zum Absterben bringen, wie etwa Mutterkorn oder der Erreger der Kartoffelfäule. Aber natürlich können Pilze auch sehr wertvoll sein – ohne sie gäbe es weder Penicillin noch Bier.
Nasse Pilze
Es gibt sie in Seen, Meeren, selbst im Eis. Unterwasserpilze sind weniger gut erforscht als ihre Artgenossen an Land, und so gibt es nur Schätzungen über ihre Anteile in Gewässern. Ähnlich wie ihre terrestrischen Artgenossen zersetzen sie abgestorbene Pflanzen und andere organische Reste. Dabei helfen sie – gemeinsam mit anderen Kleinstlebewesen wie Bakterien – mit, dass abgestorbenes Material verklumpt und als sogenannte marine Schneeflocken in tiefere Wasserschichten absinkt. Die Nährstoffe in diesem Material sichern das Überleben der dort heimischen Lebewesen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Pilze nicht nur Pflanzenmaterial zersetzen, sondern auch Schadstoffe abbauen.
Schwerelose Pilze
So abwegig es klingen mag: Pilze überleben auch im Weltall. Zumindest der Schimmelpilz scheint keinen Raumanzug zu benötigen; er entwickelt sich im All genauso gut wie auf der Erde. Ihn zu entfernen, ist gar nicht so leicht: Da hilft nur regelmäßiges Putzen. Und natürlich muss gut darauf geachtet werden, dass er weder Lebensmittel kontaminiert noch sonst das Leben auf der Raumstation einschränkt. Ob er auch Vorteile haben könnte? Das gilt es nun zu erforschen.
4 Fragen
an den Pilz-Freund Karl-Heinz Rösener*
Leben jetzt: Worauf sollte ich beim Pilzesammeln auf jeden Fall achten?
Karl-Heinz Rösener: Sie sollten festes Schuhwerk und wetterfeste Kleidung tragen. Zum Sammeln sollte man keine Plastiktüten nehmen, wenn überhaupt einen Beutel, dann einen Stoffbeutel. Noch besser sind ein Korb und zusätzlich ein paar kleine Gefäße, in denen man unbekannte Pilze separat aufbewahren kann, sodass hinterher ein Experte sie begutachten kann. Und die Pilze sollen natürlich frisch sein!
Lj: Wie kann ich als Anfänger die giftigen von den essbaren Exemplaren unterscheiden?
Rösener: Es ist am einfachsten wenn man sich zu Anfang auf die Röhrlinge konzentriert. Es gibt nur sehr wenig giftige Arten dabei und tödlich giftig ist keiner. Das sind Pilze, die ein Schwammgewebe unter dem Hut haben, wie die Marone oder der Steinpilz. Schaut man drunter, sieht man Röhrenenden. Pfifferlinge sind auch gut zu erkennen: Sie haben keine Lamellen, sondern Leisten, die ein Stück am Stiel hinuntergehen. Wenn man unsicher ist, empfehle ich, einen der unbekannten Pilze mitzunehmen und von einem Experten bestimmen zu lassen. Dazu das ganze Exemplar mit einem Messer aus der Erde hebeln, damit der Stielansatz dabei ist – den braucht man oft zum Bestimmen.
Lj: Wo finde ich denn einen Experten?
Rösener: Es gibt auf der Homepage der DGfM, der Deutschen Gesellschaft für Mykologie, Listen mit staatlich geprüften Pilzsachverständigen. Die kann man mit seinen Funden besuchen, um sie bestimmen zu lassen. Man findet immer jemanden in der Nähe, und sie müssen alle vier Jahre an Schulungen teilnehmen, sodass sie immer auf dem neuesten Stand sind.
Lj: Und wenn ich einen giftigen Pilz gegessen habe?
Rösener: Es gibt in Deutschland, Österreich und der Schweiz Giftnotrufzentralen. Dort sollte man anrufen. Das Problem ist: Je giftiger der Pilz, desto länger kann die Inkubationszeit sein. Es gibt Exemplare, bei denen man erst nach 14 Tagen merkt, dass sie giftig waren – dann hilft oft nur noch eine Nierentransplantation. So viele giftige Pilze gibt es zum Glück nicht – aber einer reicht ja schon.
* Vorsitzender der Pilzfreunde Altusried im Allgäu