Erstellt von Xenia Frenkel

Ist Gott peinlich?

Beschreibung

Illustration eines Mannes, der aus der Bibel liest, im Hintergrund Herzen
Über Gott zu sprechen ist Xenia Frenkel nicht peinlich

Für unsere Autorin Xenia Frenkel ist Gott vor allem Liebe und Gerechtigkeit | Foto: shutterstock

„Naiv“, „gefährlich“, „mittelalterlich“ – so wird Glaube heute oft bewertet. Doch was, wenn er mehr ist als ein privates Hobby? Ein persönlicher Zwischenruf über Glaube, Zweifel, Mut zum Bekenntnis – und den Wunsch nach echtem Dialog mit Atheisten und Andersdenkenden

Es ist kein Geheimnis, dass der Glaube hierzulande für immer weniger Menschen eine Rolle spielt. Er gilt allenfalls noch als exzentrisches Hobby. Irgendwie mittelalterlich. Vielleicht sogar gefährlich. Schließlich sind es doch die Religionen, die immer wieder Unfrieden stiften und seit Jahrhunderten die Menschheit manipulieren – so die gängige Meinung vieler aufgeklärter Zeitgenossen.

Zweifellos gibt es Missstände, die dringend aufgearbeitet werden müssen. Was mich jedoch stört, ist, dass bei aller berechtigten Kritik auch jene an den Pranger gestellt werden, die sich „trotzdem“ zum Glauben bekennen, Gottesdienste besuchen und Kirchensteuer zahlen – als wären sie persönlich verantwortlich für jedes kirchliche Versagen.

Es überrascht nicht, dass sich immer weniger Gläubige offen äußern. Und auch viele Nichtgläubige vermeiden echte Gespräche darüber. Der Glaube scheint eines der letzten Tabus in einer ansonsten gesprächsfreudigen Gesellschaft, die vorgibt, man dürfe über alles reden.

Während die einen Glaubensfragen selbst im Freundeskreis meiden, äußern sich andere ganz ungeniert und lautstark zu ihrem Nichtglauben. Sie bringen einen schnell zum Schweigen und machen keinen Hehl daraus, was sie von Menschen wie mir halten, die an Gott glauben. „Naiv“ ist da noch eine der freundlichsten Bezeichnungen – von denselben Menschen, die ansonsten großen Wert auf Differenzierung, Respekt und Antidiskriminierung legen. Kaum aber geht es um Religion, hört die Differenzierung auf. Die Gemüter erhitzen sich, Diskussionen eskalieren. Da verstehe ich den Wunsch, man möge in Glaubensdingen lieber schweigen. Auch meine atheistischen Freunde sagen das gelegentlich. Gleichzeitig betonen sie, dass wir im Grunde dieselben Werte teilen. Tun wir das wirklich? Ich bin mir nicht sicher. Für mich ist die radikale Menschenliebe, wie Augustinus sie beschreibt – man liebt den anderen, weil er gut ist oder gut werden kann –, etwas grundlegend anderes als bloß toleranter, wertschätzender Umgang. Mit Augustinus geht man auch auf die zu, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will. Darüber könnte man sich austauschen.

Es gäbe viel zu besprechen zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. Umso mehr ärgert mich die Selbstverständlichkeit, mit der in unseren Breitengraden davon ausgegangen wird, dass Glaube reine Privatsache zu bleiben habe. Wie soll das gehen? So wie für Atheisten ihr Nichtglauben essenziell ist, ist es für Gläubige ihr Glaube. Er prägt, wer man ist – und wer man sein möchte.

„Mein“ Gott ist Liebe, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit – so wie ihn die biblischen Autoren beschreiben. Habe ich keine Zweifel? Doch. Immer wieder. Ich hadere, streite, verzweifle – und verliere ihn manchmal sogar aus dem Blick. Dann fürchte ich, er könnte mich vergessen haben.

Das mag naiv klingen. Damit kann ich leben. Nicht aber ohne die Überzeugung, dass es immer Hoffnung gibt. Dass sein letztes Wort Liebe ist – und am Ende nicht das Böse siegt, sondern die Gerechtigkeit.

Der in Glaubensfragen völlig unverdächtige Alterspräsident Gregor Gysi hat einmal gesagt: „Ich glaube nicht an Gott, aber ich fürchte mich vor einer gottlosen Gesellschaft.“ Ich mich auch. Deshalb wünsche ich mir, dass sich mehr Menschen bekennen – auch außerhalb ihrer Komfortzone, wo alle ohnehin derselben Meinung sind. „Geht hinaus in die Welt“, heißt es bei Matthäus. So schwer kann das doch nicht sein – in einem Land, das Religionsfreiheit garantiert und schützt.

Ich mag das Wort angriffslustig. Könnten wir bitte – mit Betonung auf lustig – ein wenig angriffslustiger auftreten? Uns nicht so schnell zum Schweigen bringen lassen von Besserwissern, die behaupten, Glaube sei schlecht für den seelischen oder politischen Frieden – mache also dumm oder gefährlich –, obwohl bekannt ist, dass sich in explizit a­religiösen ­Gesellschaften nicht gerechter, friedlicher oder freier leben lässt.

Könnten wir uns freimütiger – auch ein schönes Wort – gegenüber Andersdenkenden, Atheisten, Agnostikern behaupten? Undogmatisch, respektvoll, mit Witz und Humor. Dann erledigt sich jede Moralisierung von selbst. „Entwaffnet die Worte, redet miteinander, nicht übereinander“, hat Papst Leo bei seiner ersten Audienz mit der internationalen Presse gesagt. Das ist doch ein Anfang. 

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