Erstellt von Ulla Arens

Wie die Steyler Kranken mit einem Palliativteam in Indien helfen

Immer unterwegs: Das Palliativteam der Steyler Missionare
Immer unterwegs: Das Palliativteam der Steyler Missionare

Drei mobile Pflegeteams kümmern sich um die Schwerkranken in Rourkela. Die medizinische und seelische Betreuung ist kostenlos | Foto: SVD

Unheilbar Kranke versorgt ein Steyler Palliativteam im indischen Rourkela zu Hause. Susanne Pell vom österreichischen Projektreferat in St. Gabriel hat dieses Projekt seit seiner Entstehung begleitet und unterstützt. Hier erzählt sie von ihren Erfahrungen vor Ort

„Schon morgens um acht sind es fast 30 Grad hier in Rourkela. Die Hitze macht mir nichts aus. Aber ich bin nervös. Gleich werde ich in den weißen Kleinbus steigen, der auf dem Parkplatz der ­Community Welfare Society (CWS) steht, und das Projekt sehen, an dem mein Herz hängt: die mobile Palliativbetreuung. Ob es hält, was wir uns davon versprochen haben? Ob die Menschen es annehmen?

Die CWS, die von den Steylern gegründet wurde, leistet in Sachen Palliativmedizin Pionierarbeit. Denn: In diesem Teil Indiens ist die fachgerechte Betreuung unheilbar Erkrankter und Sterbender völlig neu. Mitunter werden solche Menschen sogar von Angehörigen versteckt, weil sie als verflucht gelten.

Pater Bennichan K Peter SVD, der das Projekt leitet, stellt mich der Krankenpflegerin und ihrer Helferin vor, die ich begleiten darf: Singhi Toppo und Sarita Xaxa. Sie tragen eine blau-weiße Uniform, ihre Haare haben sie aus hygienischen Gründen unter einer Haube versteckt, der blaue Medizinkorb ist gepackt – mit Medikamenten, Katheter, Verbandszeug, Inkontinenzhosen, Blutdruckmessgerät. Im Fach hinter dem Fahrersitz verstaut Sarita Xaxa die Krankenakten. 15 Patienten werden wir in den kommenden acht Stunden besuchen. Vor jedem Halt erzählen mir die beiden Frauen etwas über den nächsten Patienten.“

Der erste Patient:
Atul, 31, leidet an der extrem seltenen, fortschreitenden und unheilbaren Erbkrankheit Mukolipidose IV. Er ist geistig und motorisch stark beeinträchtigt, bettlägerig, hat eine Spastik entwickelt. Der Patient kann kaum sehen, seit acht Monaten auch nicht mehr sprechen und hat Liegewunden. Seine Eltern pflegen ihn.

„Das ist alles, was ich von den Schwestern weiß, als der Fahrer zum ersten Mal hält. Wir betreten ein dreistöckiges Wohnhaus, das mich an die bescheidenen Blocks unserer Nachkriegszeit erinnert. Die Handflächen vor dem Gesicht aneinandergelegt, dazu eine kleine Verbeugung – nach Landesmanier begrüßen wir die Eltern des Patienten. Vorbei an einem beleuchteten Hindu-Altar gehen wir ins Krankenzimmer.

Der junge Mann, der verkrampft im Bett liegt, ist nur noch Haut und Knochen. Sarita packt das Verbandszeug aus, Singhi klettert aufs Bett und desinfiziert und verbindet die drei offenen Wunden. Danach besprechen die Fachkräfte mit den Eltern die weitere Versorgung ihres Sohnes.

Ich spüre, wie dankbar Mutter und Vater sind, dass die Pflegerinnen gekommen sind. Nicht nur, weil sie ihrem Sohn helfen. Sondern auch, weil sie Anteil nehmen. Weil sie eben keinen Bogen um die Familie machen und die Behinderung ihres Sohnes nicht als Makel oder als Strafe für die Sünden der Vorfahren sehen. Tief durchatmen im Auto – die Begegnung hat uns alle sehr bewegt.“

Der zweite Patient:
Suneshwar, 79, ist ein neuer Palliativpatient. Er hat Prostatakrebs, ist seit vier Jahren an das Bett gefesselt. Mehrere Chemo­therapien hat er bereits hinter sich, leidet akut unter starken Schmerzen. Seine Frau pflegt ihn.

„Wir betreten ein altes, einfaches Bauernhaus, das einst vor den Toren der Stadt lag, aber längst von ihr eingeholt wurde. Schwere Steine halten das flache Dach auf seinem Platz. Das Krankenzimmer ist dunkel. Die Schwestern untersuchen den todkranken Mann, notieren Blutdruck und Temperatur. Dann geben sie seiner Frau Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel und erklären ihr die Einnahme.

Die alte Frau im farbenfrohen Sari scheint die Schwestern gut zu kennen, leise redet sie mit ihnen vor der Tür des Krankenzimmers, bietet uns dann Zitronenwasser an. Sie scheint eine starke, selbstbewusste Frau zu sein. Mit ihren beiden Enkelinnen begleitet sie uns zum Wagen.“

Die dritte Patientin:
Julia, 85, ist altersschwach. Sie ist zwar noch bei Bewusstsein, sprechen kann sie aber nicht mehr. Vermutlich hat sie nur noch wenige Wochen zu leben. Die Tochter, bei der sie lebt, kümmert sich um sie.

„Als die Familie der alten, mit Stammestätowierungen übersäten Frau erfuhr, dass Besuch aus Österreich kommt, kamen Enkel und Enkelin vorbei, um bei der Übersetzung ins Englische zu helfen. Enkelin Rema, 17, sitzt am Bett ihrer Großmutter, hält ihre Hand. ‚Ich weiß nicht, ob es ihr hilft, ob sie mich überhaupt versteht, aber mir tut es gut, hier bei ihr zu sein‘, sagt sie. Und während Singhi und Sarita ihre Oma untersuchen, sie frisch lagern und ihre Haut pflegen, fragt mich die junge Frau: ‚Warum macht ihr das? Warum behandelt ihr alle gratis?‘ – ‚Weil es gerecht ist‘, antworte ich. ‚Und weil wir alle auf Solidarität angewiesen sind.‘ Die Enkelin begleitet uns zurück zum Auto.

Knapp ein Dutzend weiterer Besuche liegt heute noch vor uns. Aber eines weiß ich schon jetzt: Mein Herzensprojekt ist in den besten Händen.“ 

Aufgezeichnet von Ulla Arens

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Seit Jahrzehnten helfen die Steyler in den Slums von Rourkela, Indien
Im Dienst der Kranken: die Community Welfare Society

Die Community Welfare Society (CWS) wurde von den Steyler Missionare in Indien gegründet und setzt sich seither für die Würde der Patientinnen und Patienten ein | Foto: SVD

Community Welfare Society

CWS gegründet von Steyler Missionaren, leistet seit Jahrzehnten Sozialarbeit in den Slums der indischen Stahlstadt Rourkela. Sie betreibt ein eigenes Krankenhaus, betreut Leprakranke sozial und medizinisch. Ende 2020 initiierte der CWS-Leiter, Pater Bennichan K Peter SVD, der auch Krankenhausmanagement studierte, das Projekt für kostenlose mobile Palliativbetreuung für Menschen mit unheilbaren Krankheiten wie Lähmungen, Krebs, Diabetes oder Demenz. Zurzeit betreut die CWS 388 Patientinnen und Patienten, die sie alle zwei Wochen besuchen. Das Personal dafür: eine Ärztin, die eine Erstuntersuchung macht und die Diagnose stellt, sowie drei mobile Pflegeteams mit je einer Krankenpflegerin, einer Helferin und einem Fahrer. Wenn nötig, kommt ein Physiotherapeut dazu. „Aufgabe des Teams ist es, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Und auch dafür zu sorgen, dass etwa ein Krebspatient friedlich und mit weniger Schmerz sterben kann“, so Pater Bennichan. Die Patienten bekommen medizinische Hilfe, die Angehörigen seelischen Beistand und Unterstützung bei der Pflege. Und: Die Helferinnen und Helfer treten für die Würde und gegen die Stigmatisierung der Patienten und ihrer Familien ein.

Wissenswertes über Rourkela, die Stadt des Stahls
  • Rourkela ist die drittgrößte Stadt im indischen Bundesstaat Odisha, der an der Ostküste Indiens liegt. Sie hat über eine halbe Millionen Einwohner.
  • Entstanden ist die Stadt um das Rourkela-Stahlwerk herum, das ab 1956 gebaut wurde. Den Bau hat die deutsche Entwicklungshilfe mit 1,2 Milliarden Mark finanziert. Am Bau selbst waren auch deutsche und österreichische Firmen beteiligt.
  • Die Stadt, einst ein Dorf im Urwald, entstand auf dem Reißbrett. 16.000 Indigene mussten dafür das Gebiet verlassen.
  • Die Mehrheit der Einwohner sind Hindus.

Wenn Sie die mobile Palliativbetreuung von Pater Bennichan unterstützen wollen, können Sie spenden:

Deutschland
Steyler Mission
IBAN: DE77 3862 1500 0000 0110 09
Stichwort: 23LJINE

Österreich
Missionsprokur St. Gabriel International
IBAN: AT26 2011 1800 8068 0800
Einzahlungsreferenz: 1298X

Schweiz
Steyler Missionsprokur
IBAN CH16 0900 0000 9001 3192 2
Stichwort: Palliative Pflege Indien

Falls Spendenbescheinigung gewünscht, bitte Adresse angeben

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