Steyler Pater Stephen Bevans: „Christsein heißt: Grenzen öffnen“
Beschreibung
Inmitten der politischen Spannungen in den USA plädiert der Steyler Theologe Stephen Bevans SVD, aus Chicago für eine Kirche, die schützt, integriert – und an die Würde jedes Menschen glaubt
'Leben jetzt': Was halten Sie von der aktuellen politischen Lage in den USA?
Stephen Bevans SVD: Ich bin ziemlich verärgert darüber, wie Präsident Trump mit Migration umgeht. Natürlich muss etwas getan werden, aber ich finde seine Vorgehensweise unmenschlich und rassistisch. Ich glaube, dass er die Situation nicht vollständig versteht: Er begreift weder, woher die Migration stammt, vor welch schwierigen Verhältnissen die Menschen fliehen, noch, welchen Beitrag sie zum Wohlergehen des Landes leisten könnten. Menschen als Kriminelle und Vergewaltiger zu bezeichnen, ist ein Vorurteil und keine rationale Betrachtung der Situation – und erst recht keine christliche Sichtweise.
Lj: Gibt es denn Widerstand?
Bevans: Ja, den gibt es. Während der „No Kings“-Demonstrationen war ich auf einer Konferenz und konnte vom Hotel aus den Lärm draußen hören: Es waren Tausende von Menschen da! Aber die Anhänger von Trump machen etwa die Hälfte der Bevölkerung aus. Diejenigen von uns, die nicht für Trump gestimmt haben und gegen seine Politik sind, sind eine kleine Minderheit. Es ist ein gespaltenes Land, ein gespaltener Katholizismus, und sogar die Steyler sind gespalten.
Lj: Wie sollten wir als Christen auf Menschen reagieren, die Migranten für alle Probleme verantwortlich machen?
Bevans: Papst Franziskus sprach von vier Dingen, die Christen in Bezug auf Migranten tun müssen: willkommen heißen, schützen, fördern und integrieren. Und Leo zitiert diese vier Aspekte in seinem Lehrschreiben „Dilexi te“ (dt.: Ich habe dich geliebt) vom Oktober 2025. Natürlich gibt es Probleme mit der Migration, um die wir uns kümmern müssen. Aber Migranten sind auch ein Geschenk, und wir müssen versuchen, sie zu integrieren und ihre Talente anzuerkennen. Wir in den wohlhabenden Ländern haben die Verantwortung, zu helfen und daran zu arbeiten, dass die Situation in den Herkunftsländern dieser Menschen gerechter wird. Manchmal erfordert das, einige unserer Privilegien für das Gemeinwohl aufzugeben.
Lj: Das ist nicht leicht zu vermitteln.
Bevans: Das ist nicht leicht. In meiner Gemeinde engagieren sich die Laien sehr stark für Migranten, insbesondere aus Venezuela. Das sind Leute mit Kindern, mit Babys, die durch den Darién-Gap gereist sind: ein 100 Kilometer breites, kaum passierbares Gebiet des Regenwaldes zwischen Panama und Kolumbien. Insgesamt haben sie Tausende von Kilometern zu Fuß zurückgelegt. Wie kann da dein Herz nicht brechen?
Lj: In Ihren Büchern schreiben Sie: „Kirche ist ein Verb.“ Bedeutet das, dass sich die Kirche verändert?
Bevans: Die Kirche ist ein Volk in Bewegung. Sie dreht sich nicht um sich selbst. Es geht nicht um einen besonderen Ort, an den wir gehen, um heilig zu sein. Aber es ist sicherlich ein Ort, an dem wir Unterstützung, Herausforderungen und Liebe erfahren. Die Kirche existiert als eine Gruppe von Menschen, die versuchen, etwas in der Welt zu bewegen.
Lj: Und wo kommt Jesus da ins Spiel?
Bevans: Jesus hat in seinem Wirken das Wesen des Reiches Gottes verkörpert: Durch seine Wundertaten und Heilungen hat er gezeigt, worum es im Reich Gottes geht. Er erzählte von der Liebe Gottes, von einem Vater, der seinem verlorenen Sohn vergibt, und einem Hirten, der sich auf die Suche nach einem verlorenen Schaf macht. Nun liegt diese Aufgabe bei uns. Natürlich können wir das nicht so gut wie Jesus, aber wir müssen es versuchen. Wir können keine Wunder vollbringen, aber wir können die Hungrigen speisen, Geflüchtete aufnehmen, uns für Gerechtigkeit einsetzen und den Menschen von einem Gott erzählen, der uns nicht bestrafen, sondern der uns wirklich lieben will und uns dazu bringt, gute Menschen zu sein. Gott will, dass wir in den Himmel kommen. Wir sind nicht immer in Gefahr, in die Hölle zu kommen, für Gott ist der Himmel das Selbstverständliche.
Lj: Sie sind Missionar. Wie würden Sie sich selbst und Ihre Aufgabe definieren?
Bevans: Arnold Janssen hätte gesagt, wir müssen zu den Menschen gehen, die nicht an das Evangelium glauben, und sie bekehren. Und wenn das nicht gelingt, kommen sie in die Hölle. Mission bedeutet also, die Seelen der Menschen zu retten. Ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Aber ich bin immer noch Steyler. Doch diese Sichtweise war im 19. Jahrhundert sehr verbreitet: Arnold hat mit seiner ganzen Seele daran geglaubt. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: Menschen, die gut sind und versuchen, ihrem Gewissen und ihrem Herzen zu folgen, sind in Gottes Umarmung. Und daher werden sie keiner ewigen Verdammnis anheimfallen. Meine eigene Definition von Mission ist, mit Gott zusammenzuarbeiten, um Gottes Schöpfung zu vollenden. Ich versuche, die Geschichte von Jesus und Gott so zu erzählen, dass die Menschen sich davon angezogen fühlen und einen Gott sehen, den sie lieben können. Dadurch werde ich wie Gott. Ich werde selbstlos. Ich werde selbstaufopfernd. So entsteht eine Welt, in der die Menschen Gerechtigkeit und Liebe erfahren, genug zu essen haben und frei denken können. So nimmt jedes Mitglied der Kirche an Gottes Mission teil.
Lj: Wenn es so viele Einflüsse von all diesen Religionen, Kulturen und Menschen gibt: Verändert das unseren Glauben?
Bevans: Natürlich. Wir wissen noch nicht wirklich, wer Christus ist. Wir werden es erst wissen, wenn alle Nationen und Kulturen daran teilhaben können. Dann können wir die volle Realität Christi erkennen.
Unser Gesprächspartner
Der Steyler Missionar Stephen Bevans, 81, stammt aus den USA, wo der kontextuelle Theologe fast 30 Jahre an der katholisch-theologischen Hochschule in Chicago unterrichtet hat. Zuvor studierte er während des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom und verbrachte neun Jahre als Missionar auf den Philippinen. Der mehrfach ausgezeichnete Theologe ist zudem Autor mehrerer Bücher.





