Erstellt von Xenia Frenkel

Aufbrechen, lernen, wirken – Ein Leben als Steyler Missionar

Beschreibung

Foto eines Globus' und Menschen, die einander an den Händen halten
Was heißt Mission heute? Das wollten wir von Pater Christian Tauchner SVD wissen

Weltweit unterwegs und dabei immer weltoffen: die Steyler Missionare | Foto: AdobeStock

Pater Christian Tauchner SVD, Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts in St. Augustin, im Gespräch mit ,Leben jetzt‘ über das, was Mission gestern, heute und morgen bedeutet.

 ,Leben jetzt': Die Anfänge der Mission sind heute kaum mehr vorstellbar. Ich habe einmal die kleinen, alten Koffer gesehen, mit denen die Steyler Missionsschwestern in den 1960er-Jahren nach Papua-Neuguinea aufbrachen. Da passten kaum mehr als ein Paar Strümpfe zum Wechseln und ein Gebetbuch hinein.
Christian Tauchner SVD: 
Ja, man nahm zwei Soutanen mit, und das war’s. Vom Prokurator erhielt man das ­Ticket für das Schiff, kam irgendwo an, lief zum Konvent und arbeitete dort unter enormem Druck.

Lj: Was meinen Sie mit „hohem Druck“?
Tauchner:
Ende des 19. Jahrhunderts brach man im Bewusstsein auf, dass man vielleicht nur zwei Jahre Zeit hatte, ein paar Kinder zu taufen – länger würde man kaum überleben, etwa in Togo. Tatsächlich starben die Missionare wie die Fliegen. Und trotzdem gingen sie, in der Hoffnung und Überzeugung, vielleicht ein paar Seelen retten zu können. Dahinter stand die Vorstellung, dass Gott gegenüber Ungetauften nicht barmherzig wäre. Mit dieser Auffassung kann ich heute nichts mehr anfangen. Zum Glück hat sich da ­vieles geändert.

Lj: Sie sind Anfang der 1980er-Jahre als junger Missionar nach Quito, die Hauptstadt von Ecuador, gekommen. Noch heute lebt dort ein Großteil der Bevölkerung in Armut. Was ist Ihnen aus Ihrer Zeit besonders in Erinnerung geblieben?
Tauchner:
Eine beeindruckende, ganz andere Art von Frömmigkeit (lacht).

Lj: Können Sie das erläutern?
Tauchner:
Unmittelbar nach meiner Ankunft hatte ich etwa zehn Spanisch-Stunden hinter mir – ich konnte also kaum etwas sagen. Aber es reichte, um das zweite Hochgebet der Messe zu lesen. Ich kam in eine Pfarrei mit 15 Kapellen. Am Sonntag fuhr ich mit ­einem Studenten zu einer Kapelle: Ich stammelte das Hochgebet, der Student erledigte den Rest. Dabei begegnete ich immer wieder einem älteren Herrn, der mir viel erzählte – was ich kaum verstand. Er hatte stets einen Krug Wasser dabei, ich sollte es segnen, und nahm daraus kräftige Schlucke „Weihwasser“. Als „aufgeklärter“ Europäer hätte man vielleicht gedacht: „Was soll das?“ Aber diese Geste hatte für ihn eine tiefere Bedeutung, die ich respektieren musste. Mein Selbstverständnis als Missionar – und auch das der Steyler – wurde: Ich komme nicht, um etwas zu verkünden und zu bestimmen, sondern um zu lernen.

Lj: In einem Vorgespräch sagten Sie, „Ich bin hier in Deutschland in der Mission“. Was meinen Sie damit?
Tauchner:
Das Zweite Vatikanische Konzil hat festgelegt: Kirche ist ihrem Wesen nach missiona­risch. Überall, wo es Kirche gibt, gibt es auch Mission – also auch in Deutschland und Österreich. Dass ich als Österreicher in Deutschland bin, ist somit Teil meiner ­Mission. Früher dachte man, Mission sei eine Einbahnstraße: Europäer gingen in die Welt, aber nicht umgekehrt. Es hat über 25 Jahre gedauert, bis unsere Kongregation Strukturen geschaffen hat, in denen Steyler etwa aus Indonesien oder Afrika selbstverständlich nach Deutschland kommen, um hier zu wirken. Heute stammt rund ein Drittel der 200 Steyler in Deutschland nicht aus ­Europa.

Lj: Zurück zu Ihrer Mission heute: Wie sieht sie konkret aus?
Tauchner:
Sie ist herausfordernd. Mission in Deutschland bedeutet, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Ein Beispiel: Als die Bundestagspräsidentin Frau Klöckner mein­te, Kirche solle sich aus der Politik heraus­hal­ten, dachte ich nur: So geht das nicht. Wir setzen uns für Menschlichkeit und Soli­darität ein – gerade jetzt, wo sich die Gesellschaft davon ein Stück entfernt. Bei aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland müssen wir uns einmischen. Ich halte es da mit Habermas*: ­Religiöse Inspiration ist wesentlich, aber sie muss in zivile Vernunft übersetzt werden.

Lj: Wie passt zivilgesell­schaft­liches Engagement zum Missions­verständnis der Steyler?
Tauchner:
Ganz selbstverständlich: Wir suchen den Dialog, zum Beispiel mit ökologischen Bewegungen. Wenn Gott auf ver­schie­denen Wegen wirkt, müssen wir mit allen zusammenarbeiten, die das „Richtige“ tun – partnerschaftlich und respektvoll. Bei den Steylern nennen wir das „prophetischen Dialog“.

Lj: Und was bedeutet Mission in Zukunft?
Tauchner:
Mission wird bedeuten, die Freude am Evangelium zu vermitteln – so wie Papst Franziskus es in „Evangelii Gaudium“ beschreibt. Dieses Gaudium meint nicht oberflächliche Fröhlichkeit, sondern eine tiefe Lebenszufriedenheit, die aus der guten Nachricht von Jesus von Nazareth kommt. 

* Jürgen Habermas ist ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er lehrte zuletzt Philosophie an der Universität Frankfurt am Main.

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