Erstellt von Ulla Arens

Ulrike Herrmann: „Klimaschutz bedeutet auf Wirtschaftswachstum zu verzichten"

Leben jetzt hat mit der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann über Möglichkeiten des Klimaschutzes gesprochen
Ulrike Herrmann im Gespräch mit 'Leben jetzt' über die Folgen des Klimawandels.

Ulrike Herrmann ist überzeugt, dass es weiteres Wirtschaftswachstum nicht geben kann, wenn wir die Erde retten wollen. | Foto: teutopress/imago

Lj-Redakteurin Ulla Arens sprach mit der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann über eine mögliche Zukunft in Zeiten des Klimawandels.

Leben jetzt: Klimaschutz sei nur möglich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen, schreiben Sie in Ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“. Keine erfreuliche Botschaft.
Ulrike Herrmann: Nein, leider. Schließlich haben wir dem Kapitalismus viel zu verdanken: Wohlstand, Demokratie, Gleichberechtigung und vieles mehr. Das Problem: Kapitalismus ist auf Wachstum angelegt, sonst bricht er zusammen. Doch weiteres Wachstum kann es nicht geben, wenn wir auf fossile Energien verzichten und die Erde retten wollen.

Lj: Aber was ist mit Atomkraft, Sonnen- und Windenergie?
Herrmann: Darauf kann man nicht setzen. Weltweit gibt es zurzeit 441 Atommeiler. Wollten wir fossile Energie durch Atomkraft ersetzen, bräuchten wir 15.000 neue. Zudem lohnt sich diese Technologie einfach nicht, weil sie enorm teuer und potenziell gefährlich ist. Was den Ökostrom betrifft: Der wird immer knapp und teuer bleiben. Solar- und Windanlagen decken zurzeit nämlich nur 2,3 beziehungsweise 5,4 Prozent unseres Endenergieverbrauchs – also inklusive Industrie, Verkehr, Heizung – ab. Außerdem muss Sonnen- und Windenergie zwischengespeichert werden, damit wir auch genug davon zur Verfügung haben, wenn es dunkel ist und Flaute herrscht. Das geht nur über Batterien oder Wasserstoff. Dann wird es richtig kostspielig. Ausgereift ist die dafür nötige Technologie ohnehin noch lange nicht. Mit anderen Worten: Ein grünes Wachstum ist Illusion.

Lj: Sie sagen, dass es künftig in einer geschrumpften und nachhaltigen Wirtschaft viele Branchen nicht mehr geben wird: sei es die Autoherstellung, Luftfahrt, Banken. Gibt es noch genug Arbeit?
Herrmann: Auf jeden Fall. So werden etwa Handwerksberufe sehr stark gebraucht, um die ganze Ökotechnik aufzubauen. Auch in der Pflege und Bildung werden viele Arbeitskräfte beschäftigt sein. Die ökologische Landwirtschaft benötigt mehr Menschen auf den Feldern, Wälder müssen aufgeforstet werden. Das Problem wäre allerdings, die Menschen beruflich „umzutopfen“. So hohe Löhne wie jetzt würden auch nicht gezahlt. Denn es gäbe ja auch weniger zu kaufen.

Lj: Wird es denn noch weiterhin technische Entwicklungen geben, wenn die Betriebe keine Gewinne mehr erzielen können?
Herrmann: Die Grundlagenforschung wird meist ohnehin vom Staat subventioniert. Ohne Universitäten hätte es keinen Corona-Impfstoff gegeben. Auch Internet, Smartphones und Solartechnik beruhen auf staatlich geförderter Forschung.

Lj: Wie würde sich das Leben in der Kreislaufwirtschaft verändern?
Herrmann: Es wird ein entschleunigtes Leben. Man hat mehr Zeit und weniger Stress, weil der Statuskonsum entfällt. Man muss also nicht mehr kaufen, um zu beweisen, dass man alles besitzt, was auch die anderen haben. Und wer weiß – durch technische Innovationen könnte wieder Wachstum möglich sein, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Lj: Haben Sie Angst vor der Zukunft?
Herrmann: Ich habe Angst vor der Klimakatastrophe. Aber nicht vor einem gesellschaftlichen Wandel, den wir selber steuern und demokratisch beschließen können.

Mehr Fragen und Antworten finden Sie in der deutschen und österreichischen Ausgabe unserer Zeitschrift.

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Engagierte Vordenkerin

Ulrike Herrmann, geb. 1964, ist Wirtschaftsjournalistin, unter anderem bei der „taz“. Seit vielen Jahren publiziert sie Bücher zu sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Themen.

Sie machte eine Banklehre, absolvierte die Henri-Nannen-Journalistenschule und studierte Geschichtswissenschaft und Philosophie in Berlin.

Die Journalistin ist häufig Gast in Polit-Talkshows, etwa bei Markus Lanz oder Maischberger.

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